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Sport - 27.10.2018

„Wir wurden benutzt wie Wegwerfartikel“

Der als Dopingsünder überführte ehemalige Tour-de-France-Sieger Floyd Landis über die unveränderten Probleme in der Profi-Radsportszene, sein neues Team, privates Glück – und sein Hanf-Unternehmen. 0

Floyd Landis gewann am 23. Juli 2006 die Tour de France, nach einer Rundfahrt, die bis zur Zieldurchfahrt in Paris vor allem von der unglaublichen Show geprägt war, die der Amerikaner drei Tage zuvor abgeliefert hatte. Der Mann aus Farmersville in Pennsylvania war zu einem gnadenlosen Soloritt angetreten und hatte die 130 Kilometer bis nach Morzine allein in Front liegend bis zum Ziel durchgehalten. Am 27. Juli aber wurde bekannt, dass Landis bei dieser Etappe mit zu viel Testosteron im Blut unterwegs gewesen war, was ein Dopingtest belegte. So verlor der heute 43-Jährige wieder das Gelbe Trikot.

Landis startete einen langwierigen Rechtsstreit, der mit einer Niederlage endete. Ruiniert und allein trank er in einer Berghütte eine Flasche Whiskey pro Tag. Dann verklagte er seinen ehemaligen Kollegen, Tour-Sieger Lance Armstrong, wegen dessen Dopingmachenschaften. Diesen Prozess gewann Landis und kassierte infolgedessen 1,1 Millionen US-Dollar. Armstrong musste mit ansehen, wie sich seine sieben Tour-Siege in Schall und Rauch auflösten.

Landis lebt nach seiner Scheidung mit seiner neuen Freundin zusammen, ist Vater einer Tochter (4) – und Besitzer eine Firma namens „Floyd’s of Leadville“. Ein Hanfanbau-Unternehmen, das auf Cannabidol basierende Schmerzmittel produziert. Jetzt kehrt Landis zum Radsport zurück: Er sponsort ein Team in Kanada, in der kontinentalen Kategorie, einer Art zweiter Division für Profis.

WELT: Nach einer langen Zeit der Flucht vor und aus dem Radsport – warum steigen Sie jetzt doch wieder in ein Team ein?

Floyd Landis: Der Radsport leidet in Nordamerika darunter, dass zu wenig Geld vorhanden ist. Und ich dachte, es würde Spaß machen, bei so einem Team junger Fahrer mitzumischen, an ihrer Ausbildung teilzuhaben. Es ist ein anderes Niveau. Das sind junge Fahrer, die in der kontinentalen Kategorie Rennen fahren. Der WorldTour-Circuit des Verbandes UCI – die europäischen Radrennen der ersten Kategorie – das ist für mich nach wie vor eine Riesenenttäuschung. Aber es gefällt mir, mit diesen jungen Burschen zusammen zu sein, ihnen Tipps zu geben.

WELT: Haben Sie darüber nachgedacht, was Sie tun würden, wenn Ihre Rennfahrer heute in ein Dopingumfeld geraten würden – so, wie es Ihnen damals widerfahren ist?

Landis: Wir versuchen, alle Voraussetzungen für sie zu schaffen, dass wir sie bei ihren Entscheidungen gut beraten können, die sie treffen werden. Aber ich glaube, dass das auf diesem kontinentalen Niveau in Kanada kein großes Problem sein dürfte. Ich werde sie nicht dazu ermutigen, auf WorldTour-Level zu fahren, aber wenn sie sich dazu entschließen, werden sie sich mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen. Und ich denke, dass wir ihnen einige gute Ratschläge erteilen können. Letztendlich aber liegt es an ihnen.

WELT: Was würden Sie ihnen sagen, wenn sie in der WorldTour starten wollen, zum Beispiel bei europäischen Klassikern?

Landis: Ich würde sagen: „Schau, das ist es, was du dort erleben wirst, und dies sind die Entscheidungen, die du treffen musst. Und wenn man bedenkt, was mir und den Fahrern von US Postal alles passiert ist, dann ist Doping eine schlechte Entscheidung, andererseits aber auch die dortige Realität.“ Aber auf dem Level, auf dem sie jetzt teilnehmen, werden wir sie dazu ermutigen, dies auf korrekte Weise zu tun.

WELT: Werden Sie das Geld, das Sie im Prozess gegen Lance Armstrong gewonnen haben (umgerechnet etwa 960.000 Euro) für Ihre neue Mannschaft verwenden?

Landis: Ja, ich werde das ganze Geld, das ich bei dem Vergleich bekommen habe, in das Team investieren. Ich will, dass es eine Art Symbol dafür ist, dass wir alle Entscheidungen treffen und dass wir gerne zugeben möchten, was passiert ist, und die Vergangenheit dann hinter uns lassen.

WELT: Als Radprofi Alejandro Valverde zuletzt am 30. September die Weltmeisterschaft gewann, fragte man ihn nach der „Operation Puerto“, für die er gesperrt worden war. Er reagierte sehr verärgert und sagte, dass man ihn nicht mehr danach fragen solle, weil es „Schnee von gestern“ sei. Was meinen Sie?

Landis: Er hat recht. Das Problem liegt darin, dass es immer die Fahrer sind, die man dazu zwingt, über das korrupte System zu reden, aber diese Korruption beginnt doch bei der Wada (Welt-Anti-Doping-Agentur; d. Red.) selbst. Die Wada ist eine total korrupte Organisation: Ihre Funktion besteht darin, das Olympische Komitee (IOC) zu schützen. Die sitzen in ihrem Elfenbeinturm und lassen die Sportler tanzen, wenn sie ihnen dazu den Befehl geben, und am Ende sind es immer die Sportler, die dafür bezahlen müssen. Das war ganz klar zu sehen bei dem, was mit dem russischen Verband und seinem Olympischen Labor (in Sotschi wurden 2014 Urinproben manipuliert; d. Red.) passierte. Die einzigen, denen die Rechnung präsentiert wurde, waren die Sportler, und das ist absolut ungerecht. Valverde hat also recht: Er sollte nicht darüber reden müssen, bis die Wada selbst über ihre eigene Korruption redet. Das Olympische Komitee benutzt die Sportler wie eine Ware, wie eine Art Wegwerfartikel. Und deshalb zu denken, dass er darüber reden müsste, auf diesem Niveau der Korruption, und sich selbst die Schuld aufzuladen, das ist ungerecht und einfach Unsinn.

WELT: Welche Gefühle hat Ihr eigener Fall bei Ihnen hinterlassen?

Landis: Ich hatte lange Zeit das Gefühl, es sei ungerecht gewesen. Und auch heute noch: Es ist ungerecht, aber es ist genug Zeit vergangen, und heute geht es mir gut. Traurig ist dabei, dass meine Karriere zerstört wurde, und auch die Karriere von Armstrong. Und es hat sich nichts geändert, weil die Wada nicht will, dass sich etwas ändert.

WELT: Die Universität von Yale in New Haven, Connecticut, hat Sie aufgrund Ihrer Doping-Vergangenheit abgewiesen. Kann man wieder von Null anfangen?

Landis: Das ist unmöglich. Wenn die Presse beschließt, dass du schuldig bist, zerstört sie dein Leben, und man kann nicht das Geringste tun, um das wieder rückgängig zu machen. Mir geht es jetzt gut, ich habe eine gut gehende Firma und gelernt, diese auch zu führen. Aber andere hatten weniger Glück. Einige sind sogar gestorben wegen so einer Demütigung in der Öffentlichkeit. Der Kern des Problems ist, dass dem Olympischen Komitee die Gesundheit der Sportler vollkommen egal ist.

WELT: Haben Sie auch schöne Erinnerungen aus Ihrer Zeit als Rennfahrer?

Landis: Ich denke nur selten an sie, weil sie eng mit vielen bitteren Erfahrungen verbunden sind, das hängt alles zu sehr zusammen. Ich hatte Spaß daran, Rad zu fahren, ich habe die Welt gesehen, aber der Teil mit den Wettkämpfen, den empfinde ich als Schrott.

WELT: Hat sich das System wirklich nicht verändert?

Landis: Es kann sich gar nicht ändern, das ist unmöglich. Denn da gibt es niemanden, der ihnen die Rechnung präsentieren kann. Solange die Radsportler für sie schuften und leiden, solange wird es ungerecht bleiben. Irgendwann einmal sollten sich die Leute über die wahre Situation klar werden: Dass das System so aufgebaut wurde, dass die Leute ganz oben nie Rechenschaft ablegen müssen.

WELT: Ist der Radsport noch derselbe wie 2006?

Landis: Aber natürlich ist er das. Das kann jeder sehen, der Augen im Kopf hat.

WELT: Es sind mehr als zehn Jahre vergangen seit dem Skandal um Sie. Wie stellen Sie sich die kommenden Jahre vor?

Landis: Viel besser. Ich habe meine Tochter, die vier Jahre alt ist, und meine Freundin. Und ich habe eine gute Firma. Darauf konzentriere ich mich und versuche, nicht zu sehr an die Rennen damals zu denken. Ich glaube, dass das mit dem Radsportteam eine positive Sache sein wird, dass ich den jungen Fahrern etwas von meinen Erfahrungen erzählen kann und von den Entscheidungen, die ich getroffen habe.

WELT: Haben Sie mal darüber nachgedacht, wie es sein wird, wenn Ihre Tochter größer ist und Sie nach Ihrer Vergangenheit fragt?

Landis: Ich werde ihr erzählen, wofür ich mich damals entschieden habe, und warum. Angesichts der Tatsache, wie der Profiradsport funktioniert, hatte ich keine andere Wahl. Wer Radsport betreiben und große Rennen gewinnen will, der weiß, was er tun muss. Darin hat sich nichts geändert. Mich haben sie dafür bestraft. Meine Tochter wird intelligent genug sein, um um das zu verstehen. Ich mache mir da keine Sorgen.

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „…Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.

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