Home Politik Gastkommentar von Necla Kelek zu islamischen Parallelgesellschaften: Erst der Staat, dann die Religion
Politik - 02.03.2019

Gastkommentar von Necla Kelek zu islamischen Parallelgesellschaften: Erst der Staat, dann die Religion

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Die „Initiative säkularer Islam“ ist eine Gruppe von Publizisten, Wissenschaftlern und Aktivisten der Zivilgesellschaft, die sich anlässlich der Deutschen Islamkonferenz gegründet hat, um den konservativen und vom Ausland gesteuerten und finanzierten Moschee- und Islamverbänden etwas entgegensetzen zu können. Im Namen der Initiative selbst steckt schon eines der grundsätzlichsten Probleme der islamischen Religion. Säkularität ist die weitgehende Trennung von Religion und Staat, von Glaube und Politik. Für den autoritativen Islam gilt die Formel din al-daula, der Islam ist Religion und Staat. Dieser politische Islam kennt in den autoritativen Schriften keine institutionelle religiöse Staatsform, sondern nur den universalistischen göttlichen Anspruch auf Herrschaft. Der Gottesstaat formuliert den Anspruch der Herrschaft der Scharia; die Idee der Nation wie der Demokratie hat in dieser Weltsicht nichts zu suchen, ist im Zweifelsfall ein Vehikel.

Deshalb ist es für Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens nötig zu klären, dass sie dieser fundamentalistischen Auffassung von Religion nicht folgen, sondern sich zuerst als Citoyens, als Demokraten, dann als Zugehörige einer Religion verstehen. Die konsequente Trennung von Staat und Religion ist ein Stück Religionsfreiheit. Zum einen können sich die Gläubigen von den politischen Ambitionen der Verbände abgrenzen, die vermehrt die national-religiösen Vorstellungen zum Beispiel der türkischen Regierung oder der Missionsinstitute der arabischen Ölstaaten vertreten, zum anderen gibt es die Freiheit, ohne religiöse Bevormundung zu leben. Das bedeutet konkret, dass die Initiatoren sich dagegen verwahren, dass bekenntnisorientierter Religionsunterricht von Islamverbänden durchgeführt wird und dass Kinder und Lehrerinnen in der Schule Kopftuch tragen. Kinder sollen Freiheit lernen und nicht auf Geschlechterrollen festgelegt werden dürfen. Letztlich will die „Initiative säkularer Islam“ den Gläubigen den spirituellen Glauben als persönliches Bekenntnis ermöglichen. Wir sollten deshalb auch aufhören, jeden Migranten aus einem islamischen Land gleich als Muslim zu identifizieren und einer Bewegung zuzuordnen. Die Initiatoren haben sich vorgenommen, für diese Maßstäbe einer säkularen Gesellschaft in der islamischen Gemeinschaft zu werben.

Um überzeugend zu sein, muss dieses Maß, die Trennung von Staat und Religion, allerdings für alle gelten. Wir beklagen uns über islamische Parallelgesellschaften. Zu Recht. Aber die deutsche Gesellschaft selbst ist auch nur bedingt säkular und nicht immer Vorbild. Die Trennung von Staat und Religion ist in wesentlichen Bereichen nicht vorhanden. So haben Religionsgemeinschaften Einfluss und Rechte, die weit darüber hinausgehen, was einer demokratischen Gesellschaft zuträglich ist. Die deutsche Gesellschaft hat – durch Tradition und tief verankert im kollektiven Bewusstsein – eine Parallelgesellschaft mit einer eigenen Rechtsprechung. In dieser Parallelgesellschaft fand Missbrauch statt, ohne dass der Staatsanwalt eingegriffen hat, Beweismaterial gesichert und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Und obwohl der Öffentlichkeit bekannt ist, dass in dieser Organisation sexuelle Übergriffe stattgefunden haben, überlässt man die Aufklärung einer Paralleljustiz. Ich spreche von einer Religionsgemeinschaft, deren Repräsentanten und Institutionen vom Staat jährlich mit Millionenbeträgen alimentiert werden.

UNSERE GASTAUTORIN

Necla Kelek ist Soziologin und Autorin. Sie beschäftigt sich mit dem Thema Islam.

Die Rede ist von der katholischen Kirche. Kein gutes Beispiel für die Islamverbände.

In der vergangenen Woche wurde in Rom von den Katholiken ein moralischer Offenbarungseid in Sachen Machtmissbrauch geleistet. Wird nun auch von der Politik auf die Selbstreinigungskräfte vertraut, oder wird dies Anlass sein, über die realen Verbrechen und auch über die Struktur, die Rechte und die gesellschaftliche Verantwortung aller Religionen sowie die Grenzen seiner Institutionen – also über die Funktion des säkularen Staats – zu diskutieren?

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