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Politik - 15.12.2018

Gastkommentar von Friedrich Küppersbusch: Eine Nation beim Therapeuten

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Nette Leute, schöne Wohnung, ordentlich und sauber. Aber ach! Liegt da nicht ein Fussel? Staubt’s auf dem Buchregal? Schon sind die Gastgeber mit Feudel und Sauger dabei, eben wischen, und inkommodiert schaut der Besucher auf die eben noch gesellige Szene. Tja. Putzneurose.

Schönes Land, gefälliger Wohlstand, aufgeräumt und tolerant. Doch wehe! War da nicht ein Fremdling? Er will eine Wohnung, er lauert auf einen Arbeitsplatz, vermutlich will er mein Auto schänden und mit meiner Frau wegfahren. Jäh greifen die Gastgeber zur Keule und brüllen „Asylant!“. Schade. Putzneurose.

80 Millionen auf dem Sofa, bedächtig kratzt sich der Therapeut am Kinn und fragt: Wie war es denn in Ihrer Kindheit? Tja, also. „Mit mehr oder weniger eigenem Zutun landeten wir in einem neuen Land, dessen Vorzüge und Chancen so viel besser waren als alles zuvor.“ Diesen Satz können die befreiten Nachkriegsdeutschen sagen. Die Vertriebenen. Ebenso die aus der morschen DDR ausgewilderten neuen Bundesbürger. Und erstaunlich, wie nun viele genau dies den neuen Zuwanderern vorwerfen: „Die kommen doch ohne großes Zutun hierher und wollen unsere Vorzüge und Chancen genießen! Sauerei!“

UNSER GASTAUTOR

Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Autor und TV-Produzent. Er sitzt im Beirat des Grimme-Instituts.

Wer auf einem Schlauchboot das Mittelmeer überlebt, hat schon einiges Zutun geleistet. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, linksversiffter Neigungen qua Amtes unverdächtig, lobt diese Woche: „Viele Migranten sind eine Stütze der deutschen Wirtschaft geworden“, Merkels Mantra „Wir schaffen das“ sei aufgegangen, 400 000 Neudeutsche sind bereits in Job und Ausbildung.

Es ist verlockend, die Nation auf die Therapiepritsche zu legen, wenn sie ihre eigene Erfolgsgeschichte anderen zum Vorwurf macht. „Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit dreien auf sich selbst“, sagt der Volksmund. Sorry, Bevölkerungsmund. Aufpassen bei der Wortwahl. Doch hilft das? Was machen wir denn mit unserem Patienten? Es hat noch keine Therapie angeschlagen, ohne dass der Therapierte das wollte. Man sollte schon wissen, dass man ein Problem hat, wenn der Arzt es lösen soll.

Doch da steht sie – die Neurosenkavallerie von rechts und links und umsäuselt die Anfälligen. In jedem Small Talk lauert die wohlfeile Wendung „aber die Ausländer“, und dann wird losgeputzt. Manchen hat’s so schlimm erwischt, dass nur noch starke Medikamente helfen. „Obergrenze“, um die man sich prügelt; „Familiennachzug“, an dem die Regierung Schaden nahm. Das ist viel Schokoladenüberzug um null Wirkstoff, und bedröhnt taumeln wir weiter zum nächsten Aufreger.

Na klar, ein Arbeitgeberpräsident freut sich, wenn er statt Lohnerhöhung sagen kann: Da draußen stehen ein paar Hunderttausend, die wollen den Job gern zum alten Tarif machen. Immobilienverbrecher reiben sich die Hände, wenn sie Bruchbuden vermietet bekommen statt preisgünstige Wohnungen bauen zu müssen. Sozialversicherungen begrüßen freudig neue Beitragszahler, weil der Biodeutsche beim Nachwuchs schludert.

Wieder räuspert sich der Therapeut und fragt: „Ok, soweit zu den Problemen. Vergessen Sie sie für einen Moment. Schildern Sie, wie es für Sie gut wäre.“ Na, man möchte eine schöne Wohnung, einen guten Arbeitsplatz, Sicherheit und Freiheit und gerechten Anteil am Wohlstand. Der Patient schildert, was man mal „soziale Marktwirtschaft“ nannte, ein „Gemeinwohl“, eine Gesellschaft, die mehr ist als die Summe der Egoismen einzelner. Hm-hm, bartbrummelt es aus des Psychologen Gesicht. Dann „Und…war das so, bevor die Fremden kamen ?“ Das ist die Jokerfrage. Wo war denn diese Vergangenheit, in der alles besser war als heute? Oder war da immer gerade die schwere Kindheit? Das einzige, was man verlässlich darüber sagen kann: Eines fernen Tages werden Menschen zurückschauen auf unsere Zeit, vielleicht ein bisschen neurotisch übers Regal wischen und dabei raunen: „Tja… damals… war alles besser.“

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