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Politik - 12.11.2018

Ärger und Klage in Rheinland-Pfalz: Pflegekinder müssen hohe Abgaben zahlen

Pflegekinder, die arbeiten, müssen 75 Prozent ihres Einkommens abgeben. Ungerecht? In der Politik in Rheinland-Pfalz regt sich Widerstand. In Mainz war eine Klage erfolgreich.

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BAD KREUZNACH – 338 Euro netto verdienen und davon 253,50 Euro abgeben müssen. Dieser Fall hat sich dieses Jahr in Bad Kreuznach tatsächlich abgespielt. Der Grund für diese hohe Ausgabe: Der Betroffene ist ein Pflegekind. Und die müssen, so lange sie betreut werden, drei Viertel ihres Einkommens abgeben. So will es ein Bundesgesetz. Sie sollen damit für Kosten aufkommen, die dem Staat durch sie entstanden sind.

Bei einem Pflegekind in der Pfalz geht das Amt sogar so weit und zieht das Geld ein, das ihre Pflegetochter für die Teilnahme an einem „Freiwilligen Sozialen Jahr“ erhält. Es handelt sich dabei um ein „Taschengeld“. Die Pflegeeltern zahlen es ihr dann von sich aus, aus der eigenen Tasche: Sie halten das freiwillige Jahr für eine gute Sache und wollen ihrer Pflegetochter den Anreiz daran nicht nehmen.

Kaum ein Kind legt Widerspruch ein

Genau aus diesem Grund hält auch die Fraktionsvorsitzende der FDP im Landtag, Cornelia Willius-Senzer, das Bundesgesetz für einen Fehler: „Dass jungen Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen bei ihren ersten Gehversuchen in einem selbstständigen Leben derartige Brocken vor die Füße geworfen werden, ist nicht zu akzeptieren.“ Ziel der Politik müsse es sein, ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu erleichtern: „Dazu gehört auch, dass vom selbst verdienten Geld etwas übrig bleiben muss.“

Angesichts der Größe der Sozialhaushalte sei es durchaus möglich, meint Willius-Senzer, die Betroffenen „von dieser Bürde zu befreien“. In der Stadt Bad Kreuznach gab es dieses Jahr nur den bereits geschilderten Fall. Für die Stadt geht es in diesem um jährliche Einnahmen von 3.042 Euro. Das macht gerade mal 0,002 Prozent ihrer Einnahmen aus.

Städte und Landkreise nehmen Geld ein

In anderen Städten liegen die Gesamteinnahmen durch Pflegekinder höher: In Worms waren von der Abgabe im Jahr 2017 insgesamt 40 Pflegekinder betroffen. Die Einnahmen summierten sich auf 56.000 Euro – jeder Jugendliche gab also im Schnitt 117 Euro pro Monat ab. Die Pressestelle der Stadt Mainz gibt an, keine Daten zum Einkommen von Pflegekindern vorlegen zu können: „Das Amt für Jugend und Familie erhebt keine Fallzahlen.“

In den Kreisen verdienten die Pflegekinder im Schnitt mehr, entsprechend höher waren die Abgaben. Alzey-Worms nimmt derzeit von sechs der 26 Pflegekinder im Kreis Abgaben. Im Schnitt müssen sie jeweils rund 330 Euro pro Monat zahlen. Der Landkreis Mainz-Bingen nimmt von neun Pflegekindern im Schnitt jeweils 278 Euro pro Monat ein – 2.500 Euro insgesamt.

Eine Klage in Mainz hat Erfolg

Kaum ein Pflegekind reicht Widerspruch ein: In Mainz hat laut Stadt im vergangenen Jahr ein Kind einen solchen erhoben und war damit auch erfolgreich. Über einen aktuellen Fall im Kreis Mainz-Bingen wurde noch nicht entschieden. Im Kreis Alzey-Worms gab es in den beiden vergangenen Jahren keine solchen Verfahren.

Ein häufiger Grund für einen Widerspruch ist laut der Mainzer Pressestelle, dass den Betroffenen Fahrtkosten entstehen, die sie nicht angegeben haben. Pressesprecherin Simone Stier berichtet für den Kreis Alzey-Worms, dass Betroffene die Abgabe oft als ungerecht empfänden: „Aber der Gesetzgeber lässt dem Jugendamt hier wenig Spielraum.“

Kostenbeitrag wird kaum reduziert

Das stimmt: Der Paragraf 94 des Sozialgesetzbuches acht sieht einen Kostenbeitrag von 75 Prozent vor. Er kann nur reduziert werden, wenn bei der Tätigkeit „das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund stehen“ – in diesem Fall sogar auf bis zu null Prozent. Eine solche Tätigkeit ist nach Angaben von Bardo Faust, Pressesprecher für den Kreis Mainz-Bingen, beispielsweise ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)0 – wobei genau dies in dem dieser Zeitung bekannten Fall in der Pfalz anders gehandhabt wurde.

Hans Brecht, Pressesprecher der Stadt Worms, ergänzt: „Hierunter fallen etwa Unterstützungsleistungen bei Senioren wie etwa Alltagsbegleitungen oder Betreuung.“ Dass die Abgabe wirklich reduziert wird, kommt in der Region jedoch so gut wie nie vor: Im Kreis Mainz-Bingen gab es einen solchen Fall nach Angaben des Pressesprechers noch nie, auch in Mainz, Worms, Bad Kreuznach und im Kreis Alzey-Worms sind 75 Prozent die Regel.

Also bleibt die Praxis bestehen: Pflegekinder müssen drei Viertel ihrer Einnahmen wieder abgeben. Es sei denn, die Bundesregierung ändert das Gesetz, wie es Willius-Senzer fordert: „Wenn sie tatsächlich eine soziale Politik machen will, sollte sie sich schnellstmöglich für die Abschaffung dieser Praxis einsetzen.“

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