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Politik - 27.05.2019

Union und SPD nach Wahldesaster in Europa auf Ursachensuche

Das Abschneiden von Union und SPD bei der Europawahl war historisch schlecht. Gepaart mit dem Ausgang der Landtagswahl in Bremen könnte dies auch die große Koalition in Berlin erschüttern.

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Berlin (dpa) – Nach der historischen Schlappe bei der Europawahl steht bei den großen Wahlverlierern Union und SPD nun die Suche nach Ursachen im Fokus.

Offen war am Montag, ob es insbesondere bei den Sozialdemokraten personelle Konsequenzen geben könnte. Führende SPD-Politiker riefen jedoch zu Geschlossenheit auf, während Vertreter des linken Parteiflügels einen Kurswechsel forderten. Am Montagvormittag kamen die Parteigremien von Union und SPD in Berlin und München zusammen. Am Nachmittag treffen sich dann die Koalitionsspitzen.

Zunächst beraten sich die Spitzenpolitiker der Union, Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Wenig später sollen SPD-Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz hinzukommen.

Die SPD war mit 15,8 Prozent bei der Europawahl nicht nur auf Platz drei hinter den Grünen abgerutscht, sondern hatte
bei der zeitgleichen Landtagswahl in Bremen ein Fiasko erlitten und war erstmals seit über 70 Jahren hinter der CDU gelandet.

Die Grünen dagegen hatten
erdrutschartig gewonnen und waren erstmals zweitstärkste Kraft bei einer bundesweiten Wahl geworden. Trotz des schlechten Abschneidens blieben CDU und CSU zusammen stärkste Kraft (28,9 Prozent). Die Ergebnisse könnten Gegnern der großen Koalition innerhalb der SPD Aufwind geben und somit die Stabilität des schwarz-roten Regierungsbündnisses stark belasten.

Großer Sieger waren die Grünen: Sie legten auf 20,5 Prozent zu – fast zehn Punkte mehr als bei der Europawahl vor fünf Jahren (10,7 Prozent). Die AfD kommt auf 11,0 Prozent (2014: 7,1 Prozent). Die Linke liegt bei 5,5 Prozent (2014: 7,4 Prozent), die FDP bei 5,4 Prozent (2014: 3,4 Prozent). Von den anderen Parteien erzielten nur die Freien Wähler und die Satirepartei Die Partei mehr als 2 Prozent.

Der Chef des Unions-Mittelstands, Carsten Linnemann (CDU), forderte tiefgreifende Konsequenzen aus dem miserablen Ergebnis seiner Partei. «Die Union ist dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren. Es ist Alarmstufe Rot», sagte Linnemann, der auch stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag ist. Die CDU müsse endlich ihre inhaltliche Entkernung beenden und sich «wieder darauf konzentrieren und besinnen, wofür wir stehen und wofür wir nicht stehen».

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek rief die Union auf, in den nächsten Monaten der Klima- und Umweltpolitik noch mehr Gewicht zu geben. Die CDU-Politikerin sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Dabei müssen wir deutlich machen, was bisher erreicht wurde und welche großen Anstrengungen bereits laufen.» Der CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer dagegen nannte die Klimadebatte «nur noch schwer erträglich». Die Diskussion sei alarmistisch und Fakten würden weitgehend durch Emotionen ersetzt, sagte Pfeiffer der dpa.

Die Wahlen waren auch der erste Stimmungstest für Kramp-Karrenbauer seit ihrem Amtsantritt im Dezember, Merkel hatte sich weitgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten. Kramp-Karrenbauer hatte noch am Sonntagabend Defizite in der Klimaschutzpolitik eingeräumt, die ein wichtiges Wahlkampfthema war. CSU-Chef Markus Söder stärkte Kramp-Karrenbauer demonstrativ den Rücken. «Ich schätze sie sehr, und wir arbeiten sehr gut zusammen. Man sollte ihr jetzt die Zeit geben, ihre Arbeit fortzusetzen.»

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte, die Union müsse regional unterschiedliche Antworten auf drängende Fragen wie den Klimaschutz geben. Dass die Grünen im Osten trotz des Gesamterfolges bei der Europawahl zum Teil unter zehn Prozent lägen, zeige, dass Deutschland gespalten sei. CDU-Bundesvize Armin Laschet bezeichnete das miserable Ergebnis seiner Partei als Weckruf und warnte vor Personaldebatten.

Mit Blick auf die krachenden SPD-Niederlagen warnte der Chef des einflussreichen nordrhein-westfälischen Landesverbandes, Sebastian Hartmann, vor vorschnellen Reaktionen. «Wir müssen die Nerven behalten», sagte der Bundestagsabgeordnete der dpa. Der Absturz der SPD bei der Europawahl hatte Spekulationen Auftrieb gegeben,
dass Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles zur Aufgabe ihres Spitzenpostens in der Fraktion gedrängt werden könnte.

SPD-Vize Ralf Stegner sagte, von Personalquerelen halte er sehr wenig. «Das schadet uns in jedem Fall.» Die Wahl sei eine «herbe Zäsur», aus der Schlussfolgerungen gezogen werden müssten. Der Parlamentarische Geschäftsführer Carsten Schneider wandte sich gegen einen Wechsel an der Spitze: «Wenn es immer nur ein Traineraustausch wäre, hätte die SPD immer große Erfolge gehabt.»

Drei führende Vertreter des linken Parteiflügels forderten einen Kurswechsel. «Wir bekennen uns (…) ohne Wenn und Aber zum Ziel, in Zukunft ein progressives Bündnis links der Union anzuführen und dies in Wahlkämpfen auch zu vertreten», schrieben Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert und Fraktionsvize Matthias Miersch in einem Positionspapier, das der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Der «Spiegel» berichtete zuerst darüber.

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck sagte, das Ergebnis habe «alle unsere Erwartungen übertroffen» und sei ein «unglaublicher Vertrauensvorschuss». Man werde sich jetzt «voller Konzentration» den anstehenden Aufgaben widmen.

AfD-Parteichef Alexander Gauland sagte, das Ergebnis der Europawahl zeige, wie weit sich die Deutschen in Ost und West politisch voneinander entfernt hätten. «Was man an dem Ergebnis sieht, ist leider eine Spaltung Deutschlands.» Die Menschen in Dresden oder Cottbus seien «freiheitsliebend, dadurch sind wir in diesen Ländern jetzt sehr viel stärker», fügte er hinzu.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verlangte derweil angesichts der Erfolge der AfD in Ostdeutschland eine differenzierte Reaktion seiner Partei. «Die Themen, die in einigen Teilen der alten Bundesländer für einen Höhenflug der Grünen gesorgt haben, haben in den neuen Ländern zu großen Sorgen geführt», sagte er.

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