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Politik - 29.06.2019

Gastkommentar von Andreas Rödder zum Streit in der EU

Macrons Kampf gegen Manfred Weber als EU-Kommissionspräsidenten ist ein Lehrstück über Europa – gerade für Deutschland: über die hohe Kunst des Meuchelns.

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Mit dem Konflikt um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten wird auf offener europäischer Bühne ein Königsdrama aufgeführt, das weit über einen Prinzenmord und den Dolch im Gewande der Beteiligten hinausgeht. Es offenbart die EU in ihrem komplexen Zusammenspiel und Gegeneinander von Parlament und Rat, Union und Nationalstaaten, Deutschland und Frankreich, rechts und links, EU und Demokratie.

Demokratie ist das Stichwort für die Monologe von Manfred Weber, dem Thronprätendenten. Dahinter steht eine Frage von verfassungsgeschichtlicher Dimension. Zu Beginn, in den Fünfzigern, war das Europäische Parlament nur ein Delegiertenkongress gewesen. Einen ersten großen Emanzipationsschritt machte es mit der ersten Direktwahl 1979. Mit allen weiteren Schritten der europäischen Integration hat es Rechte hinzugewonnen. Nie aber war es ein Parlament im klassischen Sinne parlamentarischer Systeme. Denn dort bestimmt, das ist der Kern, das Parlament über die Regierung.

Für das Amt des Kommissionspräsidenten, so hat es der EU-Vertrag geregelt, schlägt der Europäische Rat, also die Versammlung der Regierungschefs der Mitgliedstaaten, dem Parlament eine Person vor und „berücksichtigt“ dabei „das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament“ – was auch immer das heißt. Genau das war der Gegenstand des Coups zwischen Martin Schulz und Jean-Claude Juncker 2014: Die Parteien nominierten Spitzenkandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament und designierten damit bereits den Kommissionspräsidenten. Dieses Verfahren wurde 2014 gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt. Entscheidend ist daher nun: Wird es 2019 wiederholt, hat es sich etabliert. Wenn nicht, ist der Coup von 2014 kassiert.

UNSER GASTAUTOR

Andreas Rödder ist Professor für Neueste Geschichte an der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität

Auftritt Macron: Die Idee der Spitzenkandidaten sei kein Element der Demokratisierung, sagt er, sondern ein Machtspiel zwischen etablierten Parteien des Europäischen Parlaments, die nach den letzten Wahlen nicht einmal mehr eine Mehrheit haben. Macron war für transnationale, also europaweite Listen eingetreten, die dem Modell von „En Marche“ in Frankreich ähneln sollten. Sie waren aber auf Widerstand gestoßen, nicht zuletzt aus Deutschland.

Jetzt führt Macron den Dolch gegen Manfred Weber, die EVP, das System der Spitzenkandidaten – und Deutschland. Offenkundig kommt einiges zusammen: Vorbehalte gegen die Person Webers, Enttäuschung über Deutschland, dessen Regierung auf Macrons wiederholte Reforminitiativen für die Europäische Union nicht nennenswert reagiert hat – und handfeste nationale Interessen. Macrons Vorschlag für die Kommissionspräsidentschaft, entweder den Franzosen Michel Barnier oder Angela Merkel zu wählen, zeigt die hohe Kunst diplomatischer Perfidie – würde die Variante Merkel doch bedeuten, dass sie selbst den deutschen Spitzenkandidaten meuchelte, mit Unschuldsmiene, versteht sich.

Macrons ebenso virtuoses wie brachiales Machtspiel erinnert an seinen Vorvorvorgänger Jaques Chirac 1998, der nach einem beinharten Poker um den ersten EZB-Präsidenten dem europäischen Publikum zurief: „Wir befinden uns in einem System europäischer Nationen, und jede verteidigt ihre Interessen.“

So ist das wohl. Das aktuelle Königsdrama zeigt: Es gibt unterschiedliche Sichtweisen, wie Europa ist. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen, wie Europa sein soll. Und es gibt sehr unterschiedliche nationale Interessen. Das ist auch völlig legitim. Es ist nur klug, dies zu erkennen, statt sich Illusionen hinzugeben, dass Europa ein Idyll der soft power wäre.

Apropos: Der Schlussakt ist noch nicht geschrieben, und noch ist Zeit für den Schlussauftritt der deutschen Kanzlerin. Wenn sie als deus ex machina Jens Weidmann für das Amt des EZB-Präsidenten aus dem Hut zauberte – das wäre ganz großes Kino.

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