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Politik - 18.05.2019

Gastkommentar von Andreas Rödder: Ramadan und Leitkultur

Die Frage, ob islamische Schüler während des Ramadan fasten dürfen, sorgt jedes Jahr erneut für Diskussionen. Dabei ist die Debatte darüber überfällig. Es geht um Grundsätzliches.

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Alle Jahre wieder kommt der Ramadan – und sorgt für Zoff in Deutschland. Er wandert durch die Jahreszeiten und fiel in den letzten Jahren wiederholt mit Hitzeperioden zusammen, so dass insbesondere Schüler zu dehydrieren drohten, wenn sie tagsüber nichts tranken. In diesem Jahr hat der Ramadan am 5. Mai begonnen, und damit fällt er in die Zeit schulischer Abschlussprüfungen.

Diesmal sorgte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann für Aufregung, indem sie forderte, erzwungenes Fasten von Kindern solle gesetzlich untersagt und strafrechtlich sanktioniert werden. Dem trat sogleich ihr rheinland-pfälzischer Amtskollege Herbert Mertin entgegen: Diese Initiative sei überflüssig, weil der gesundheitsgefährdende Zwang zum Fasten schon heute strafrechtlich geahndet werden könne. Stattdessen sah Mertin antimuslimische Ressentiments am Werke.

Womit er einmal mehr ein Beispiel dafür gegeben hätte, woran unsere Demokratie krankt. Natürlich gibt es antimuslimische Ressentiments in der Gesellschaft. Daher aber gesellschaftliche Probleme zu leugnen und allein ihre Benennung als Ressentiment abzutun, ist ignorant. Und es ist schädlich, weil es dem Anderen moralisch verwerfliche Motive unterstellt. Demokratie aber lebt davon, dass ich die Position meines Gegenübers respektiere, auch wenn ich sie nicht teile, solange sie jedenfalls nicht außerhalb gewisser Grenzen liegt.

UNSER GASTAUTOR

Andreas Rödder ist Professor für Neueste Geschichte an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität. Er sagt: Der islamische Fastenmonat sorgt regelmäßig für Zoff in Deutschland – dabei ist die Debatte nötiger denn je.

Begänne der rheinland-pfälzische Justizminister seine Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit, so würde er sehen, dass Ramadan und Schule sehr wohl Probleme miteinander haben. Wie wäre es zur Abwechslung statt mit Ressentiment oder mit Ignoranz einmal mit Abwägung, die das Problem zudem nicht nonchalant bei den Schulen ablädt? Denn es geht um grundsätzliche Fragen von Rücksicht, Toleranz und Zusammenleben – kurz: von bürgergesellschaftlicher Leitkultur.

Eine offene Gesellschaft ist der Toleranz und der Religionsfreiheit verpflichtet, und zwar innerhalb der Grenzen, die für alle gelten. Diese Grenzen liegen in der Freiheit des Anderen. Ein Beispiel: Kürzlich bat ein muslimischer Schüler darum, auf einer Klassenfahrt im Juni das Abendessen erst um 21 Uhr zu bekommen. Das wäre in Ordnung, wenn die Küche dann noch offen wäre oder das Essen nur hingestellt werden müsste. Wenn aber die Küche länger geöffnet bleiben und das Personal länger arbeiten müsste oder wenn dadurch das Abendprogramm der Gruppe beeinträchtigt würde, dann ginge diese Freiheit des Einen zu Lasten der Anderen und ihrer legitimen Bedürfnisse.

Ein anderer Aspekt ist der des Kindeswohls. Über Tag nichts zu trinken, stellt insbesondere an heißen Tagen, wie in den letzten Jahren geschehen, eine gesundheitliche Gefährdung dar, gerade für Kinder. Demgegenüber nimmt der Staat in vielen Belangen für sich das Recht in Anspruch, das Kindeswohl zu definieren: Er verpflichtet Kinder zum Schulbesuch und überstellt diese Entscheidung nicht den Eltern. Auch die Debatte um eine Impfpflicht wägt das Entscheidungsrecht der Eltern gegen ein staatlich festgestelltes Kindeswohl ab. Und so hat der Staat das Recht, Kinder vor Dehydrierung zu schützen, denn das Kindeswohl hat im Konfliktfall Vorrang vor religiösen Riten.

Das gilt auch für ein weiteres grundlegendes Element unserer Gesellschaft: die Bereitschaft zur individuellen Leistung. Aus dieser Warte kann es nicht richtig sein, wenn religiöse Freiheit die Leistungsfähigkeit für schulische Prüfungen beeinträchtigt.

Alles eine Frage der Abwägung – und genau das ist das Prinzip einer offenen Gesellschaft: Rücksicht und Toleranz bei gleichzeitig geltenden, begründeten Regeln. Das ist weder beliebiges Multikulti noch ein völkischer closed shop. Eine bürgergesellschaftliche Leitkultur ist vielmehr offen für alle. Sie gilt für alle, und sie bekennt sich zu den pluralistischen Grundlagen einer westlichen Gesellschaft. Das ist immer mühsam, aber allemal besser als Ressentiment und Ignoranz.

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