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Kultur - 13.01.2019

Historischer Moment in historischer Stadt

Nicht Sofia, Plovdiv! Bulgariens zweitgrößte Stadt ist neben Matera in Italien Kulturhauptstadt 2019. Unter dem Motto „Zusammen“ hat die Stadt mit einer großen Feier ihr Ehrenjahr begonnen.

„Dies ist ein einzigartiger und historischer Moment für unsere Stadt“, sagte Plovdivs Bürgermeister Ivan Totew vor der Eröffnungszeremonie. „Noch nie gab es in Plovdiv etwas mit derart großer Strahlkraft wie der Titel ‚Europas Kulturhauptstadt‘. Seitdem wir ausgewählt wurden, spüren wir das.“

Der Startschuss für das Jahr der Kultur in Plovdiv fiel an diesem Samstag, zunächst mit einer bombastischen Open-Air-Show am Abend. Das Künstlerkollektiv Phase7 inszenierte vor zehntausenden Besuchern auf einem rund 40 Meter hohen Turm eine fulminante Lichtshow. Mit lokaler Musik und Tänzen und gab einen ersten Vorgeschmack auf das Motto von Europas Kulturhauptstadt 2019. „Together“ („Zusammen“) standen insgesamt tausend Bewohner Plovdivs bei der einstündigen Show auf der Bühne. Die Menschen in Plovdiv sollten am Abend – und auch im kommenden Jahr – die Protagonisten sein. Sei es bei der Kunstparade Ayliak auf Europas längstem Boulevard im Mai oder auf der bereits eröffneten Ausstellung zur Geschichte der Tabakindustrie rund um Plovdiv.

Anbau und Verarbeitung von Tabak haben in Plovdiv große Tradition. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier im großen Stil produziert.

„Zusammen“ ist eine Überschrift, die gut zu Plovdiv passt. Im sogenannten Rom des Balkans lehnen antike griechische Säulen an römischen Mauern und uralten türkischen Bädern. Entdeckt man in der einen Gasse eine Synagoge oder eine frühchristliche Basilika, ragt über den Dächern im Stadtzentrum die Djumaja-Moschee aus dem 14./15. Jahrhundert. Und noch heute leben in Plovdiv bulgarische Roma und Menschen, die sich armenischer, ukrainischer oder der türkischen Kultur verbunden fühlen. Eine Mulitkulti-Stadt, wie sie im Buche steht – und mit 8000 Jahren eine der ältesten der Welt.

Kuratorin Svetlana Kuyumdhieva bei der Einweihung der Wanderausstellung „Art Liberty“ bestehend aus bemalten Teilen der Berliner Mauer.

„Es war schon immer so, dass sich Menschen unterschiedlicher Kulturen oder Ethnien diesen Fleck der Erde geteilt haben. Es ist Teil unserer DNA“, sagt Svetlana Kuyumdhieva, die Kuratorin von Plovdiv 2019. Das soll sich auch im Programm wiederspiegeln, um das es im Vorfeld eine Menge Streit gab.

Im Juni bringt das Theaterprojekt „Medea“ Kinder und Jugendliche verschiedener ethnischer Zugehörigkeit und Religionen zusammen. Auch „100% Plovdiv“, ein Projekt angeleitet durch das berühmte Theaterkollektiv „Rimini Protokoll“, soll dezidiert Theaterleien unterschiedlichster Hintergründe zusammenbringen. Ebenso wie das Projekt „Learn from Stopinovo“, das konkret versucht eine Brücke zur Roma-Gemeinschaft um Plovdiv zu schlagen. Denn man ist in Plovdiv zwar stolz auf seine bunte Vielfältigkeit, doch problemlos lebt sie sich nicht. Gerade die Roma gelten hier als abgespalten, das Verhältnis zu ihnen ist oft angespannt und nicht selten kommt es zu rassistischen Anfeindungen – sogar aus der Politik.

„Wir haben bei der Bewerbung unsere Probleme hier offen gelegt, sie in unser Programm geschrieben und wollen sie jetzt endlich angehen, mit Hilfe dieses Jahres der Kultur“, sagt Bürgermeister Totew gegenüber der DW.

Bereits während der Planungsphase habe allein der Titel „Europas Kulturhauptstadt“ so viel verändert. „Vorher hat niemand von zeitgenössischer Kunst geredet. Heute redet die ganze Stadt darüber.“ Es sei möglich gewesen, mehr Geld in Schulen in Vierteln der Roma-Comunities zu stecken, und das angesagte Künstlerviertel Kapana konnte autofrei gemacht werden – etwas, das zuvor undenkbar war.

Bars, Cafés, ein Flair zwischen ranzig, schräg und einfach schön bunt. Das ist Kapana, quasi Bulgariens einziges Hippster-Viertel.

Lubomir Marovski studiert IT an einer der vielen Unis in Plovdiv. Er sieht viel Potenzial in Plovdiv und freut sich auf die vielen internationalen Gäste

IT-Student Ludomir Marovski arbeitet hier in einem Café. Er ist geteilter Meinung über Plovdiv 2019. „Ich freue mich über die vielen Attraktionen und internationalen Leute, die kommen, klar, aber was ich nicht verstehe ist, warum man gleichzeitig die Ticketpreise für manche Ausstellungen anhebt. Jetzt ist das Geld von der EU da, und wir müssen mehr Eintritt zahlen. Das geht doch nicht.“

Der 23-Jährige ist nicht der einzige, den es stört, dass die Stadt vor kurzem die Ticketpreise für Kulturangebote um 20 Prozent erhöht hat. Und dies ist nur einer von vielen Streitpunkten, die es bereits im Vorfeld gab. Einer davon: Kritiker werfen den Verantwortlichen vor, versprochene Projekte nicht umzusetzen – darunter die Errichtung einer Tabakstadt aus den Überresten der alten Fabrikgebäude. Diese sind jetzt der Witterung überlassen.

Penka Poydovska ist sich sicher, dass es in Plovdiv voran geht

Penka Poydovska ist dennoch stolz. „Es ist das Beste, was uns passieren konnte. Dieses Jahr wird uns allen gut tun. Und wenn noch mehr Touristen kommen, umso besser.“

Und die Touristen, sie kommen. Bereits in den vergangenen Jahren, während der Planungsphase, hat sich die Zahl der Besucher im Jahr 2017 auf eine Millionen vervielfacht. Für 2018 geht man von 1,5 Millionen aus. 2019 dürfte alle Rekorde sprengen – zumindest in den Geschichtsbüchern von Plovdiv.

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