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Wirtschaft - 05.07.2019

Wiese als Karton: Verpackungen aus Graspapier

Der boomende Online-Handel braucht Kartons, und immer mehr Supermärkte setzten auf Papiertüten statt Plastik. Kann Graspapier eine nachhaltige Alternative zur traditionellen Herstellung aus Holz sein?

Die Bioäpfel im Supermarkt liegen in einer grünlichen Papp-Schale, die ein bisschen nach Heu duftet. „Dieser Karton besteht zu 40 Prozent aus Grünschnitt. Der schnell nachwachsende Rohstoff Gras schont Ressourcen und Umwelt“, ist darauf zu lesen.

Hinter der innovativen Pappe aus Gras steht Uwe D’Agnone, Inhaber der Hennefer Firma Creapaper in Nordrhein-Westfalen. Die Firma stellte diverse Produkte aus Pappe und Papier her. Dann las der passionierte Tüftler, dass in Ländern wie Indonesien jedes Jahr riesige Waldflächen abgeholzt werden. Holz ist der wichtigste Rohstoff für die Papierherstellung. D’Agnone suchte nach Alternativen und landete nach einigen Versuchen schließlich bei Heu. Zusammen mit den Agrarwissenschaftlern der Uni Bonn entwickelte er ein neues Produkt. Dafür ist der Grünschnitt von praktisch jeder beliebigen Wiese verwendbar. 

Gras enthält im Gegensatz zu Holz kaum Lignin. Lignin ist ein natürlicher Klebstoff, der die Zellulose-Fasern im Holz zusammenhält, für die Papierherstellung aber entfernt werden muss.

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„Im Baumholz ermöglicht Lignin ein Wachstum in die Höhe. Je höher die Pflanze, desto mehr Lignin hat sie. Also habe ich nach unten geschaut“, sagt D’Agnone im DW-Gespräch.

Um Lignin aus dem Holz heraus zu lösen, wird in der traditionelle Papier-Herstellung viel Energie, Wasser und Chemie eingesetzt. Auch darum ist nach Untersuchungen der Umweltorganisation BUND eine Papiertüte nur dann nachhaltiger im Vergleich zur Plastiktüte, wenn sie mindestens achtmal wiederverwendet wird.

Energie und Wasser sparen bei der Produktion 

Beim Graspapier sieht die Bilanz besser aus. D’Agnone’s Firma nutzt für die Herstellung keine Chemikalien und nur ein Zehntel der Energie, die bei der herkömmlichen Papierproduktion benötigt wird. Dazu werden nur zwei Liter Wasser pro Tonne Grasfasern verbraucht – statt 6000 Liter Wasser für die selbe Menge Holz als Rohstoff.

Die innovativen Verpackungen bestehen zu einem grossen Teil aus Heu.

„Pro Tonne Zellstoff aus Holz gibt es 510 kg CO2- Ausstoß“, sagt D’Agnone. „Wir sparen 75 Prozent davon ein“, so der Erfinder. Selbst im Vergleich zu Recycling-Zellstoff aus Altpapier ist der CO2 Ausstoss in der Produktion 25 Prozent kleiner.

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Das Gras wird getrocknet, gereinigt, auf die benötigte Faserlänge geschnitten und zu Pellets gepresst. Diese werden dann in Wasser eingerührt. Je nach Anwendung kann das so erzeugte Papier bis zu 60 Prozent Grasanteil haben. Der Rest besteht – wie bei konventionellem Papier – aus Frischholz und Recyclingmaterial.

„Der Großteil des Zellstoffs wird in Deutschland momentan importiert, etwa aus Eukalyptusfarmen“, sagt Nico Arbeck vom Kompetenzzentrum nachhaltige Rohstoffe (C.A.R.M.E.N. eV) in Straubing. Die Importe kommen aus der ganzen Welt, darunter aus Skandinavien, Südeuropa und Lateinamerika.

Arbeck sieht beim Graspapier viele Vorteile: deutlich weniger Wasser- und Energieverbrauch, einen regionalen, überall verfügbarer Rohstoff und kurze Transportwege. Und bisher werden nur Ausgleichsflächen gemäht, die nicht landwirtschaftlich genutzt werden. „Aktuell ist das keine Konkurrenz für die Lebensmittelerzeugung“, sagt Arbeck. 

Uwe D’Agnone zeigt in seinem Büro verschiedene Produkte aus Graspapier

Grüner Durchbruch oder nur was fürs „öko-Gefühl“?

D’Agnone’s Graspapier wurde mit Innovations-, Umwelt- und Gründerpreisen überhäuft, darunter zuletzt dem renommierte Red Herring Top 100 Europe Award, mit dem technologische Durchbrüche auszeichnet werden.

Prof. Jukka Valkama vom Papierzentrum Gernsbach an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg ist hingegen skeptisch.

„An sich ist das nichts Neues: Die Papierindustrie setzt viele Jahrespflanzen ein“. Für einige Nischenprodukte werden etwa Baumwolle, Hanf oder Jute beigemischt. „Graspapier bringt keine Vorteile für das Endprodukt, gibt aber dem Kunden ein Gefühl von Öko“, meint der Forscher.

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Zu der Ökobilanz der Herstellung hat Prof. Valkama keine Zahlen, doch er vermutet, dass viele Substanzen aus dem Grünschnitt ins Wasser gelangen, die man später herausfiltern müsse. Wegen der sichtbaren Fasern würde sich außerdem größere Mengen Graspapier negativ auf die Qualität von Altpapier auswirken.

„Wir mussten den Papierherstellern nachweisen, dass das Graspapier recycelbar ist und direkten Kontakt zu Lebensmitteln haben darf, z.B. keine Allergene enthält“, sagt hingegen D’Agnone und verweist auf diverse Zertifikate, die man auf seiner Webseite nachlesen kann.

In der Papierfabrik Scheufelen liegen grünliche Graspapierrollen neben weissen Papierrollen aus Holz.

Mehr als 20 Fabriken in Deutschland, den Niederlanden und Italien arbeiten schon mit seinen Pellets. Natürlich ist das Papier aus Gras noch weit davon entfernt, konventionelles Papier aus Holz zu verdrängen. Aber 90 Prozent der Anwendungen seien auch aus Gras herstellbar, sagt der Erfinder.

Bei der Papiertechnischen Stiftung in Heidenau erprobte er diverse Rezepturen für Pappe, Karton, Geschenk- und Schreibpapier. Die Herkunft von der Wiese sieht man dem Ergebnis mehr oder weniger an: Manchmal ist die „grüne“ Optik und Haptik sogar erwünscht. In D’Agnogne’s Büro in Hennef stapeln sich Schuhkartons, Einkaufstüten, Obstschalen, Trinkhalme, Aktenordner und Kaffeebecher aus Graspapier. Für Fußballfans produziert die Firma sogar Grußkarten aus dem Stadion-Rasen.

Heu aus der Region

Inzwischen zählt Creapaper auch Großunternehmen wie REWE, Edeka, Coca Cola, dm, Otto Versand und Norma zu seinen Endkunden. Die REWE-Gruppe hat als erster Lebensmittelhändler das Verpackungsmaterial getestet und macht es jetzt zum Bestandteil ihrer Nachhaltigkeitsstrategie.

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„In Zukunft wird bei allen relevanten Artikeln in der Obst- und Gemüsesaisonplanung überprüft, ob Graspapier eingesetzt werden kann“, heißt es auf der Webseite der Supermarkt-Kette.

Mitte Mai eröffnete Creapaper bei Düren die erste Großanlage für Graspellets. Diese soll mehrere Papierproduzenten zwischen dem Bergischen Land und den Niederlanden mit Rohmaterial von Wiesen aus der Eifel beliefern. Produzenten, die einen langfristigen Vertrag mit ihm schließen, stellt D’Agnone auch eine Pellet-Anlage direkt aufs Werksgelände. Nach dem Creapaper-Konzept soll das Heu nämlich möglichst aus dem Umkreis der Papierfabrik stammen und gleich vor Ort verarbeitet werden.


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    Autorin/Autor: Tamsin Walker


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