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Wirtschaft - 25.12.2018

Tafeln lindern Armut auch an Weihnachten

Braten, Glühwein, Geschenke – was für viele Menschen zu Weihnachten als selbstverständlich gilt, können sich Bedürftige oft nicht leisten. Sie sind froh, dass es die Tafel gibt. Ein Besuch bei der Tafel in Bonn.

„Wenn ich hier Lebensmittel abhole, kann ich mit dem Geld, das dann übrig bleibt, Kleidung für meine Kinder kaufen“, sagt dreifache Familienvater. Zusammen mit anderen Frauen, Männern und Kindern steht er vor dem flachen Backsteinbau der Bonner Tafel Schlange und wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Seinen Namen möchte er nicht nennen – aus Scham. Jeden Mittwochnachmittag kommt er her und holt Obst, Gemüse, Brot und Milchprodukte ab. Bekannte haben ihn auf die Tafel aufmerksam gemacht. Seine Frau hat psychische Probleme, erzählt er. Er hilft beim Kochen und kümmert sich um die Kinder.

Geschenke zu Weihnachten

Die Verteilung von Lebensmitteln organisieren bei der Bonner Tafel über hundert ehrenamtliche Helfer. Zur Festzeit haben sie noch mehr zu tun als sonst. „Wir versuchen, den Kunden zu Weihnachten das Besondere einzupacken,“ sagt Geschäftsführer Horst-Dieter Tontarski und deutet auf Kisten voller Mandarinen, die ein Bonner Bürger extra für die Tafel gekauft hat. Manchmal spenden Supermärkte und Privatpersonen auch Stollen, Röstkaffee und Wein.

Will alle Kunden gleich gut versorgen: Horst-Dieter Tontarski, Geschäftsführer der Bonner Tafel

Für jede bedürftige Familie gibt es dieses Jahr ein Paket mit Lebensmitteln und Spielzeug für die Kleinen, das die Spenderinnen und Spender selber zusammenstellen. Über 700 bunte Päckchen stapeln sich mittlerweile in der benachbarten Kirche. Dazwischen sitzen Helferinnen und Helfer, die alles sortieren und aufpassen, dass nichts wegkommt. Eine von ihnen ist die 22-jährige Isabelle. Seit zwei Jahren arbeitet sie jede Woche drei bis vier Stunden hier. Für sie ist die bei der Tafel eine „coole Sache“ und eine „sinnvolle Beschäftigung neben dem Studium“.

Lebensmittel vor der Mülltonne bewahren

Isabelle gegenüber sitzt der 72-jährige Bernd. Er trägt ein Käppi und lächelt. Der ehemalige Beamte wollte im Ruhestand „was Vernünftiges machen“. Menschen zu helfen, ist für ihn nur eine Seite der Medaille. Er möchte sich auch „dafür stark machen, dass nicht zu viele Lebensmittel weggeworfen werden“.

Die Tafeln in Deutschland vereinbaren zwei Ziele: Sie bewahren Esswaren, die nicht mehr verkauft werden können, vor der Mülltonne, und lassen sie ärmeren Menschen zugute kommen. Nach eigenen Angaben unterstützen sie so bis zu 1,5 Millionen Menschen. Die Lebensmittelverschwendung ist aber immer noch sehr hoch: Laut WWF werden jährlich 18 Millionen Tonnen Essen vernichtet – das ist ein Drittel der Produktion. 

Schamgefühl ist groß

Obwohl sich die Tafel als Institution in Deutschland längst etabliert hat, ist für viele Kunden der Gang dorthin immer noch mit Scham verbunden. Die meisten der Tafel-Gäste möchten nicht mit uns über ihre Geschichte sprechen. Ein Rentner wiederum erzählt, dass er durch einen Bericht im Radio von der Tafel gehört habe. „Meine Frau und ich bekommen zwar Geld vom Staat“, klagt der 74-Jährige, „aber es ist nicht genug. Wir brauchen die Hilfe der Bonner Tafel.“ Seit zwei Jahren sucht er hier Unterstützung.

Geduldiges Warten: Kunden stehen vor der Bonner Tafel Schlange

Den Armutsforscher Christoph Butterwegge wundert das scheue Verhalten der Tafel-Kunden nicht. „In einem reichen Land arm zu sein, bedeutet gleichzeitig, ausgegrenzt zu werden, stigmatisiert zu werden, selbst verantwortlich gemacht zu werden“, so Butterwegge. „Niemand fragt einen Armen im Slum von Nairobi: Rechtfertige dich mal, warum bist du arm? Aber der Hartz-IV-Bezieher in Deutschland, der wird gefragt: Bist du nicht ein Faulenzer, ein Drückeberger, ein Sozialschmarotzer?“

Dabei ist es im reichen Deutschland nichts Ungewöhnliches, arm zu sein. Laut Statistischem Bundesamt ist fast jeder fünfte von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Der jüngste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zählt knapp 14 Millionen Betroffene in Deutschland.

Gegen die Ursachen der Armut können die Tafeln in Deutschland kaum etwas unternehmen. Sie können aber die Not lindern. Als wir wieder gehen, hat sich auch der dreifache Familienvater mit Lebensmitteln versorgt. Er ist sehr dankbar, dass es die Bonner Tafel gibt – gerade zu Weihnachten.

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