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Wirtschaft - 11.01.2019

Merkel in Griechenland: Besuch bei Freunden

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist nach Athen. Anders als bei ihrem letzten Besuch 2014 sind die Gastgeber in guter Stimmung. Ein Streitpunkt sorgt in Griechenland aber weiterhin für Aufregung.

Merkel und Tsipras im Gespräch auf einem Gipfel in Brüssel

Die Schuldenkrise hat die Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland belastet: Als Oppositionspolitiker polterte Alexis Tsipras vor seinem Amtsantritt als Premier (2015) gegen die „Spardiktate aus Berlin“, während deutsche Regierungspolitiker den Griechen einen Euro-Austritt nahelegten. Seitdem hat sich einiges geändert: In Rekordzeit vollzog Tsipras als Regierungschef seine Wende zum Realismus, setzte sämtliche Sparauflagen um und gab sich kooperativ bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise im Süden Europas.

Deshalb stehe die Reise von Angela Merkel nach Athen unter guten Vorzeichen, glaubt Jorgos Tzogopoulos, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Thrakien. „Dieser Besuch signalisiert Unterstützung aus Berlin für die Umsetzung der Wirtschaftsreformen in Hellas“, sagt Tzogopoulos im Gespräch mit der DW. Anscheinend sehe die Kanzlerin in Tsipras einen Politiker, der aus seinen Fehlern gelernt habe.

Vor vier Jahren habe Tsipras „einen Kompromiss hinnehmen müssen, der erniedrigend war“, sagt Tassos Papas, Politikjournalist und Kolumnist der linksgerichteten „Zeitung der Redakteure“. „Doch im Laufe der Zeit konnte er den Geldgebern auch einiges abtrotzen.“ Als Beispiel nennt er die Entscheidung des Premiers, auf Anraten des Internationalen Währungsfonds (IWF) beschlossene Rentenkürzungen für 2019 wieder rückgängig zu machen. Auch die Ankündigung von Tsipras, den Mindestlohn zu erhöhen und die Tarifverhandlungen wieder einzuführen, scheine auf Wohlwollen zu stoßen. Das Fazit des Journalisten Papas: Sogar die Geldgeber vertreten nicht mehr die „reine Lehre“ der Sparpolitik. 

Aufregung um den Namen Mazedonien

Noch viel wichtiger als die Wirtschaftsreformen sei derzeit für Angela Merkel der jüngste Kompromiss um Mazedonien, glaubt Papas. Zur Erinnerung: Im Sommer 2018 einigten sich Griechenland und die Republik Mazedonien auf eine Lösung im langjährigen Namensstreit. Demnach wird sich der nördliche Nachbarstaat Griechenlands in „Nord-Mazedonien“ umbenennen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Athener Regierung, die nationale Identität des Nachbarn anzuerkennen und den Verhandlungen über dessen NATO-Beitritt zuzustimmen. 

Vergangene Woche erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz in Berlin, die Bundesregierung begrüße dieses Abkommen. Doch die Zustimmung des griechischen Parlaments ist noch nicht sicher, obwohl voraussichtlich eine einfache Mehrheit von 151 der 300 Stimmen genügen würde. Die regierende Linkspartei Syriza verfügt nur über 145 Sitze und kann das Abkommen im Alleingang nicht durchbringen. Die rechtspopulistische ANEL-Partei, die Tsipras als Juniorpartner und Mehrheitsbeschaffer dient, lehnt einen Kompromiss im Namensstreit mit Mazedonien ab und will notfalls die Regierung verlassen. Was tun?

Politik-Journalist Papas glaubt, dass Tsipras die erforderliche Mehrheit mit Hilfe kleinerer Splitterparteien doch noch erreicht. Noch viel wichtiger sei die Reaktion des konservativen Oppositionsführers Kyriakos Mitsotakis, der bisher einen Kompromiss um Mazedonien ablehnt. „Es ist doch seltsam“, meint der Athener Analyst, „wenn man sich die Europäische Volkspartei – also die konservative Parteienfamilie Europas – anschaut, gibt es dort nur zwei Parteien, die einen Kompromiss ablehnen, nämlich die Neue Demokratie in Athen und die VMRO in Skopje.“ Auf den Einwand, es gehe immerhin um die beiden direkt betroffenen Länder, erwidert Papas, Merkel werde wohl auch in dieser Angelegenheit intervenieren. „Mitsotakis wird seine Meinung zum Namensstreit nicht ändern, aber die Kanzlerin will vermutlich den notwendigen Druck ausüben, damit er zumindest einem NATO-Beitritt des Nachbarlandes zustimmt“, meint Papas.

Nicht willkommen: Proteste gegen Merkels Besuch in Athen im Frühling 2014

Der Politikwissenschaftler Tzogopoulos spricht von einem „positiven Abkommen“. Er habe nicht erwartet, dass Griechenland bei den Nachbarn tatsächlich eine Namensänderung durchsetzen könnte. Es sei nur konsequent, dass die andere Seite im Sinne einer echten Kompromisslösung auch etwas bekommt – nämlich die Anerkennung einer mazedonischen Sprache und Identität. Für Tzogopoulos sei der Streit um die konservative Opposition in Athen eher theoretischer Natur: „Trotz seiner ablehnenden Haltung hat Mitsotakis signalisiert, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als das Abkommen zu respektieren, sollte es Tsipras im Parlament durchbringen.“ Klar sei jedenfalls, dass die Kanzlerin in Athen für ein Abkommen wirbt, das aus ihrer Sicht mehr Stabilität für den Westbalkan bringt.

Die Atmosphäre stimmt 

Der letzte Griechenland-Besuch von Angela Merkel im Jahr 2014 scheint eine Ewigkeit her zu sein. Auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise bemühte sich der damalige konservative Regierungschef und Gastgeber Antonis Samaras um einen betont freundlichen Empfang. Trotzdem schien er verärgert, da ausgerechnet die ihm politisch nahe stehende Kanzlerin seine finanzpolitischen Sonderwünsche wohl ablehnte. Linkspolitiker Alexis Tsipras – damals noch in der Opposition – warf Merkel vor, sie sei nur deshalb nach Athen gekommen, um „das korrupte politische System zu stützen“. Die Gewerkschaften hatten zu Protestaktionen aufgerufen, selbst die Journalisten des Staatsfernsehens ERT streikten. Fast surreal wirkten damals die poetischen, aber kommentarfreien TV-Bilder von Samaras und Merkel, die im Athener Regierungsviertel unter Zitrusbäumen schlenderten.

Heute sind die Gastgeber in bester Stimmung: Angela Merkel bleibt über Nacht und nimmt sich Zeit für einen Besuch in der Deutschen Schule Athen, die seit 2011 das Gütesiegel „Exzellente Deutsche Auslandsschule“ erhält. Laut Medienberichten wollen sich Linkspremier Tsipras und die Bundeskanzlerin auch noch zum Fischessen verabreden – am Hafen von Piräus, direkt am Meer, wie es sich gehört für gern gesehene Gäste.

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