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Wirtschaft - 05.07.2019

Klimabewusst bauen im Ruhrgebiet

Alle reden über den Ausstieg aus der Braunkohle, weniger Flugreisen und die Luftverschmutzung durch die Autoindustrie. Dabei kann Deutschland vor allem mit der Gebäudesanierung seine CO2-Emissionen massiv reduzieren.

Unternehmer Steven Engler auf dem Dach des Einkaufszentrums City Center in Herne

Reicht ihm die Photovoltaikanlage auf dem Dach, die jährlich 33.000 Kilogramm CO2 einspart? Plus die fünf ultramodernen Lüftungsanlagen, die jede 700.000 Euro kosten und die Steven Engler nur zärtlich „meine kleinen Lamborghinis“ nennt? Nein, der Inhaber des City Center in Herne hat sich noch etwas ganz besonderes ausgedacht: Auf dem Dach des Einkaufszentrums mitten im Ruhrgebiet im Westen Deutschlands summen bald 50.000 Bienen. „Auch das gehört zur Nachhaltigkeit, dass wir hier das Dach begrünen und die Bienen guten Honig produzieren“, sagt Engler lachend.

Was der 34-jährige Immobilienunternehmer mit dem City Center macht, ist ein bisschen so, wie einen Dinosaurier vor dem Aussterben zu retten – und zwar nachhaltig. In den 1970er Jahren gebaut, gehörte das City Center zu den ersten Einkaufszentren Deutschlands. Doch vom früheren Glanz war wenig übrig geblieben: Geschäfte wanderten ab oder machten dicht, es wurde nicht renoviert oder erneuert, von Energiesparen keine Spur.

Vor zwei Jahren stand über die Hälfte des Zentrums leer, ein Tod auf Raten. Steven Engler kam auf Umwegen ins Spiel: „Ich habe meinem Vater damals gesagt, lass uns bloß die Finger davon lassen. Dann bin in den Urlaub gefahren. Währenddessen hat er es als Chef unseres Unternehmens gekauft.“

Der Unternehmer, der auch Klimawissenschaftler ist

Der Sohn machte sich an die Arbeit. Er drehte alles um auf den 17.000 Quadratmetern und achtete immer darauf, energetisch zu modernisieren, berichtet er: Er tauschte die alten Schieferfassaden gegen ein Wärmedämmungssystem aus, isolierte alle Fenster. Schließlich nahm er auch das komplette Dach ab, weil das alte undicht war, und sanierte die Tiefgarage.

Überall setzte er kleine LED-Lampen ein, die nur bei Bewegung angehen. „Es passte ganz gut, dass ich an der Universität meinen eigenen Forschungsschwerpunkt zu erneuerbaren Energien habe. Ich konnte also alles selbst entwerfen und umsetzen“, erläutert Engler, der zum Thema Klimaextreme promoviert hat.

Zum City Center in Herne gehören neben dem Einkaufszentrum auch Bürogebäude und Wohnungen (hinten)

In wenigen Wochen soll das City Center fertig sein. Die Herner können dort Eis essen, Blutplasma spenden oder im größten Woolworth-Markt Deutschlands einkaufen. Energiespeicher braucht das Einkaufszentrum nicht, es ist autark. „Wir sind jetzt bei knapp 20 Millionen Euro bei den Umbaukosten“, rechnet der Unternehmer vor: „Es wird neun bis zwölf Jahre dauern, bis wir das Geld wieder drin haben.“

Natürlich möchte Engler vor allem Geld verdienen. Aber er will auch – so energiebewusst wie möglich – seine Heimat Ruhrgebiet stärken – er wurde einige Kilometer weiter westlich in Gelsenkirchen geboren: „Ich habe als Unternehmer eine Verantwortung. Und wenn ich die Möglichkeit habe, das so zu machen wie hier in Herne, muss ich das auch tun!“

Der Energieberater, der auch Oberbürgermeister war

Der Mann, der viele Menschen in der Region dazu gebracht hat, so zu denken wie Steven Engler, hat sein Büro keine 20 Kilometer entfernt in Bottrop. Burkhard Drescher ist Geschäftsführer des Klimaprojekts InnovationCity. Eigentlich könnte der 68-Jährige längst seinen Ruhestand genießen, stattdessen kämpft er unermüdlich für eine klimagerechte Stadtentwicklung. Mit Erfolg: Bottrop mit seinen 117.000 Einwohnern hat den CO2-Ausstoß in den vergangenen knapp zehn Jahren um 50 Prozent reduziert.

Die Gebäude erzeugen in Deutschland rund ein Drittel der CO2-Emissionen. Drescher will noch mehr dagegen tun: „Wir können mit relativ simplen Maßnahmen wie der Dämmung von Fenstern, Speichern und Kellern das Land energetisch modernisieren. Das Potenzial der Photovoltaik im Ruhrgebiet würde ausreichen, um die Region eigenständig mit Strom zu versorgen, ohne eine einzige Tonne Braunkohle zu fördern.“

Burkhard Drescher, Geschäftsführer von InnovationCity, mit einem Fahrrad, das mit Wasserstoff angetrieben wird

Burkhard Drescher kennt sich mit Strukturwandel und Klimaschutz aus. Er weiß, wie man diese Themen moderiert und organisiert. Vor 20 Jahren ließ er als Oberbürgermeister von Oberhausen ein ehemaliges Industriegelände in ein neues Stadtzentrum umbauen. Die Straßenbahn fuhr wieder, der öffentliche Nahverkehr wurde gefördert, berichtet er. Jetzt hat er Bottrop zur Klima-Modellstadt gemacht. Ein Beispiel ist die Stahlfirma, die stolz mit einer Photovoltaik-Anlage und einem chemischen Stromspeicher wirbt – unter dem Slogan „Sonne schweißt Stahl“. Oder das bunte Plus-Energiehaus im sozialen Wohnungsbau, das mit Geothermie, Wärmepumpe und Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung mehr Energie erzeugt, als es verbraucht.

Klimabewusstsein klappt auch im sozialen Wohnungsbau: das Plus-Energiehaus in Bottrop

Die Klima-Modellstadt, die früher auf Kohle setzte

Vor allem hat Drescher Zehntausende Bürger in Bottrop von der klimafreundlichen Gebäudesanierung überzeugt – mit kleinen Schritten, betont er. Sie könnten auf 100 Prozent CO2-Einsparung durch eine kostspielige Dämmung des Dachs verzichten und dafür lieber 90 Prozent Einsparung mit kleinem Geld erreichen.

„Deutschland ist gebaut“, sagt Drescher und fordert ein Umdenken bei der Förderung: „Wir haben in Deutschland im vergangenen Jahr 300.000 Neubauten gehabt, aber wir haben 20 Millionen Gebäude. Es wurde bisher versäumt, beim Bestand Anreize für CO2-Einsparungen zu setzen.“

Bottrop setzte sich 2010 in einem Wettbewerb durch – mit dem Ziel, eine Stadt zum Modell für Energieeffizienz zu entwickeln

Vielleicht tut sich jetzt etwas bei der energetischen Modernisierung in Deutschland. Bundesumweltministerin Svenja Schulze war diese Woche in Bottrop. Sie sieht InnovationCity als Modell für andere Städte in Deutschland, einige sind schon hellhörig geworden: Der Senat Berlin will Energiekonzepte für die Hauptstadt, auch Hamburg und Osnabrück sind aufgesprungen.

Nur einen Kilometer entfernt von der Zeche Prosper-Haniel, die als letztes Steinkohlebergwerk in Ruhrgebiet 2018 dicht machte, hofft Burkhard Drescher deshalb auf einen Impuls für ganz Deutschland: „Die Region, die mit Kohle und Stahl Energiezentrale Europas war, könnte jetzt zum Vorreiter bei klimaneutralen Städten werden.“

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