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Wirtschaft - 23.10.2018

Italien bricht die EU-Regeln – mit Absicht

Italiens Regierung pfeift auf die EU-Haushaltsvorschriften – das zeigt der Haushaltsentwurf des Landes für das Jahr 2019. Nun muss die EU-Kommission reagieren: mit Härte oder sanftem Druck? Aus Brüssel Bernd Riegert.

Italiens Premier Conte will mit neuen Schulden Wachstum schaffen. Die EU sagt Nein

Fristgerecht am Montagmittag traf der Brief aus Rom ein. Die EU-Kommission bestätigte, dass die italienische Regierung aus Populisten und Rechtsextremen schriftliche Erläuterungen zu ihrem umstrittenen Haushaltsentwurf für 2019 abgeliefert habe. Das weitere Vorgehen im Haushaltsstreit mit Italien will die EU-Kommission bereits am Dienstag beraten. Die Kommission hätte nach den Regeln der Wirtschafts- und Währungsunion bis zum kommenden Montag Zeit, den schuldenträchtigen Haushaltsplan der Italiener zurückzuweisen oder formell Änderungen zu verlangen.

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hatte vergangene Woche die Erwartung geäußert, dass die Aufsichtsbehörde den Plan komplett zurückweisen müsse. Dagegen verwahrte sich heute der italienische Premier Guiseppe Conte. Oettingers Worte seien eine unzulässige „Vorverurteilung“.

Offener Verstoß

Allerdings räumte der italienische Finanzminister Giuseppe Tria in dem Brief an die Haushaltshüter in Brüssel freimütig ein, dass sein Etatentwurf gegen die gemeinsamen Regeln verstößt. Das sei ihm völlig bewusst, aber es sei nötig, um die italienische Wirtschaft wieder auf einen stärkeren Wachstumskurs zu bringen und das Einkommensniveau zu erreichen, auf dem man vor der Finanzkrise 2008 gelegen habe. EU-Haushaltskommissar Pierre Moscovici hatte den Haushaltsentwurf, der eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt vorsieht, vergangene Wochen als schweren Verstoß gegen die Vorgaben der EU kritisiert. Wegen des extrem hohen Schuldenstandes Italiens hatte die Kommission mit der italienischen Regierung eigentlich eine Neuverschuldung von höchstens 0,8 Prozent vereinbart.

Moscovici: Italiens Haushalt muss Regeln entsprechen

Die Koaltionsparteien „Fünf Sterne“ und „Lega“ wollen jedoch eine Reihe von kostspieligen Sozialleistungen und Steuersenkungen durchsetzen. Die Annahme des italienischen Premierministers Guiseppe Conte, dass durch erhöhte Staatsausgaben auch die Wirtschaftsleistung angekurbelt werden könne, wies EU-Haushaltskommissar Moscovici zurück. „Wir sind bereits in einer Phase der Überhitzung, und viele Ökonomen sehen das genau so“, sagte Moscovici in einem Interview mit dem Radiosender „France Inter“. Trotzdem wolle er eine Krise und einen offenen Konflikt mit Italien vermeiden. „Italiens Platz ist in der Mitte Europas und nicht außerhalb“, sagte Moscovici.

Italiens Ministerpräsident Conte gab sich bei einer Pressekonferenz vor der Auslandspresse in Rom ebenfalls versöhnlicher als in den vergangenen Tagen. Italien habe nicht die Absicht, aus der Währungsgemeinschaft Euro oder der EU auszusteigen.

Warnschuss von Moody’s

„Das höhere Defizit ist nötig, um Wirtschaftswachstum zu erreichen“, sagte Conte. „Das Fundament Italiens ist solide. Das hat auch die Ratingagentur Moody’s erkannt“, fügte der parteilose Premier hinzu. Moody’s hatte heute Italiens Kreditwürdigkeit herabgestuft, aber langfristig keine weitere Herabstufung in Aussicht gestellt. Der Ausblick sei „stabil“, so die Ratingagentur. Daraufhin hatten sich Anleger am heutigen Montag mit italienischen Staatsanleihen eingedeckt. Der Risikoaufschlag, der „spread“ für italienische Schuldentitel, war um ein halbes Prozent gesunken. In den letzten Wochen hatte der Trend des „spread“ stets nach oben gezeigt.

Als kritische Marke für den Risikoaufschlag zu deutschen Bundesanleihen hatte der rechtsradikale Parteiführer Matteo Salvini selbst vier Prozent genannt. Zeitweise erreichte der „spread“ bereits 3,8 Prozent. Die populistische Regierung in Rom will sich um den „spread“ aber einfach nicht mehr kümmern. Der ist nach Auffassung der Parteiführer Luigi Di Maio (Fünf Sterne) und Matteo Salvini (Lega) eine Erfindung der Deutschen, um Italien niederzuhalten. Premier Conte sagte in Rom, beim Zinsaufschlag könne er für gar nichts garantieren, „weil der spread ja nicht von meiner Regierung gemacht wird.“ Sollten die Anleger auf den Finanzmärkten dem italienischen Staat im Zuge des Haushaltsstreits mit Brüssel allerdings irgendwann massiv das Vertrauen entziehen, dann könnten die italienischen Schulden von über zwei Billionen Euro schnell unfinanzierbar werden.

Solider Kern? Italiens Wirtschaft ist leistungsfähig meint die Regierung. Moody’s bleibt skeptisch

Keine Rettung durch die EU

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat eine finanzielle Unterstützung Italiens durch andere Euro-Staaten nach dem Modell Griechenlands mehr oder weniger ausgeschlossen. Scholz sagte bei einer Veranstaltung in Ludwigshafen: „Wenn man 130 Prozent der Wirtschaftsleistung als Schulden hat, wie das in Italien der Fall ist, muss man einfach vorsichtiger sein. Das können wir niemandem abnehmen.“ Das sei kein europäisches Thema, so Scholz weiter. „Das Spiel der Populisten, das möchte ich nicht mitspielen: so lange sich schlecht benehmen, bis wir dann die Rettung bezahlen.“

Unklar ist, wie sich die Europäische Zentralbank im Falle einer Krise verhalten würde. Sie dürfte Staatsanleihen aus Rom nur massiv aufkaufen, falls Italien sich einem Rettungsprogramm durch den Euro-Rettungsfonds ESM unterwürfe.

Noch wird verhandelt

Italiens Premier Conte zeigte sich in Rom bereit zu Gesprächen und Verhandlungen mit der EU-Kommission; an den Zahlen den Haushaltsentwurfes könne aber nichts geändert werden. „Wir wollen vertrauensvolle Zusammenarbeit und einen konstruktiven Dialog“, sagte Conte. Er könne garantieren, dass das selbstgesteckte Ziel der Neuverschuldung eher unterschritten, aber keinesfalls überschritten werde.

Krisenanfällig: Italienische Banken, wie Monte dei Paschi di Siena, sind mit Staatsanleihen vollgesogen und sitzen auf faulen Krediten

EU-Kommissar Moscovici will ebenfalls verhandeln und hob auch einige positive Projekte aus dem Haushalt zur Bekämpfung der Armut in Italien hervor. Bundesfinanzminister Scholz lobte neben aller Kritik die Idee, eine staatliche Absicherung für Langzeitarbeitslose einzuführen. Nicht alles sei aus der Luft gegriffen.

Und die Italiener? Es gibt bereits Berichte in den Medien, zum Beispiel im britischen „Telegraph“ oder der italienischen Zeitung „Il sole 24“, dass wohlhabende Italiener ihre Sparguthaben in die benachbarte Schweiz auslagern, um sie vor einem möglichen Zusammenbruch des Euro zu schützen. Offizielle Zahlen zu einer einsetzenden Kapitalflucht liegen der italienischen Notenbank noch nicht vor. Die Zahlen werden oft mit sehr langer Verzögerung erhoben und veröffentlicht.

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