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Welt - 29.12.2018

Was wurde aus den Helden der Höhle?

Seit ihrer Rettung tost der Trubel um die thailändischen Fußballjungen – gefördert von der Militärjunta. Aber die Regierung hat auch ein Zugeständnis gemacht.

Im Oktober spielten die „Wildschweine“ in Argentinien gegen die Jugendmannschaft von River Plate Buenos Aires.

Die Tham-Luang-Höhle im Norden Thailands zählte zu den vergessenen Ecken des Landes, doch das ist vorbei. Die Schotterstraße, die zum Eingang des Höhlensystems führt, wird heute von zahlreichen Marktständen gesäumt. Die Händler bieten unter anderem frisch gegrillte Hähnchen, Früchte oder Lotteriescheine an. Denn Tham Luang hat sich zu einer Touristenattraktion entwickelt, statt rund 150 Menschen pro Tag wie früher kommen inzwischen 6000 pro Tag.

Grund dafür ist das Drama, das im Sommer 2018 die Welt bewegt hat: Als zwölf Jungen und ihr Trainer vom Fußballklub „Moo Pa“ („Wildschweine“) am 23.Juni in die Tham-Luang-Höhle im Berg über ihren Dörfern stiegen und das plötzlich einsetzende Flutwasser sie einschloss. Bei der anschließenden wochenlangen Rettungsaktion drückten Menschen weltweit den rund 10.000 Helfern und 100 Tauchern die Daumen. Die Aktion endete am 10.Juli, als die letzten vier Jungen und der Trainer betäubt aus der Höhle getragen wurden. Sie hatten Beruhigungsmittel bekommen, damit sie in den engen gefluteten Korridoren nicht in Panik geraten.

Seit jenem Tag ist für die Kinder nichts mehr, wie es mal war. In Thailand gelten die Jungen im Alter von elf bis 17 Jahren als Helden, die Hunger, Klaustrophobie und Verzweiflung getrotzt hatten. Sie sind positive Symbole geworden, Glücksbringer, selbst Prominente wollen sich an ihrer Seite zeigen. Doch die Behörden legen wert darauf, dass ihr Alltag so normal wie möglich bleibt. Sie dürfen nur zu ausgesuchten Veranstaltungen, immer in Begleitung von Kinderfürsorgebeamten. Der Rummel soll ihnen nicht zu Kopf steigen.

Zurück in die Schule

Die Höhle hingegen bleibt geschlossen, obwohl sie nach dem Ende der Regenzeit wieder besucht werden könnte. Die Rettungsaktion mit der Unmenge an Helfern und verlegten Rohren und Kabeln hat Tham Luang arg mitgenommen. Die Höhle soll instand gesetzt und nächstes Jahr für Touristen geöffnet werden. Allerdings können dort bereits drei weitere Höhlen besucht werden. Bald soll auch ein Museum auf dem Gelände stehen. Am 13. Dezember wurde im Beisein der geretteten Jungen eine Statue des ehemaligen Navy-Seal-Tauchers Saman Kunan eingeweiht. „Sergeant Sam“ war bei einem Tauchgang der Sauerstoff ausgegangen, er bezahlte die Rettung der Kinder mit dem Leben. Selbst bei dieser Einweihung blieben die Kinder vor Journalisten abgeschirmt.

Der Trubel um die Jungs hatte bereits begonnen, als sie noch in der Höhle auf Rettung warteten. Der Weltfußballverband Fifa lud sie zum WM-Finale nach Moskau ein. Doch dafür war die Zeit zu knapp. Die abgemergelten Geretteten mussten im Krankenhaus gestärkt werden. Und dienten dann der thailändischen Junta zur Propaganda, um zu zeigen, was die Militärregierung vollbringen kann.

Nach den obligatorischen Tagen im Tempel wurden die Jungs in zahlreichen TV-Sendungen zelebriert. Sie bedankten sich endlos, verneigten sich vor Porträts ihrer Retter und beantworteten die immer gleichen Fragen. Was sie einst werden wollen? „Fußballer“, sagte jeder.

Anfang August ging es für sie zurück in die Schule, wo sie ein Vertreter von Bayern München mit Klubtrikots und Fanartikeln des deutschen Rekordmeisters begrüßte. Anfang September gab die thailändische Regierung ein Galadinner zum Dank an die Retter. Endlich, Mitte September, begannen die „Wildschweine“ auch wieder mit dem Fußballtraining. Unter ihrem Coach Ekkapol Chanthawong, der sich nach der Rettung eineinhalb Monate als Mönch in einen Tempel zurückgezogen hatte. Er tat Buße dafür, dass er die Kinder in die Höhle geleitet hatte. Und auch für Sergeant Sam.

Einladung nach Buenos Aires

Anfang Oktober ging es für das Team auf Einladung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nach Buenos Aires, zu den Olympischen Jugend-Sommerspielen, wo es im River-Plate-Stadion spielen durfte. IOC-Präsident Thomas Bach sagte: „Die ,Wildschweine’ haben große Stärke und Belastbarkeit gezeigt – wahrhaft olympische Werte. Deshalb habe ich sie gebeten, zu den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires zu kommen, um ihre Erfahrungen mit anderen jungen Athleten zu teilen.“

Angehörige der vermissten Fußballjungen beten im vergangenen Juni für das Überleben der Kinder.

Anschließend reisten sie nach New York und Los Angeles für Interviews mit dem Sender NBC weiter, Ende Oktober waren sie Gäste beim englischen Traditionsklub Manchester United. Der inzwischen entlassene Trainer José Mourinho lud die Jungen zum Training ein, wo sie hautnah ihre Stars erlebten: Paul Pogba, Romelu Lukaku, Ashley Young und andere. In all dem Rummel bleibt unklar, wie sich die Zeit in der Höhle auf die Psyche der Jungen ausgewirkt hat. Ob sie womöglich Traumata erlitten haben, deren sie sich nicht bewusst sind. Vielleicht könnte sich auch ein Leben ohne Armut positiv auf sie auswirken. Mit ihrem Drama wird durchaus Geld gemacht, das ist vor der Höhle gut zu beobachten. Die Kinder jedoch haben noch nichts verdient.

Die thailändische Regierung hat immerhin ein Zugeständnis gemacht: Drei Jungen und der Coach waren Staatenlose, sogenannte „Hilltribes“, wie die Minoritäten im Grenzgebiet zu Myanmar genannt werden. Thailand verlieh den vier im Schnellverfahren die Staatsbürgerschaft – etwas, worauf bis zu drei Millionen Angehörige von Minderheitenvölkern in Thailand seit langem warten. Sie leben in Thailand, gehen dort zur Schule und arbeiten dort. Und bleiben doch Menschen zweiter Klasse. Kritiker sagen, hinter dem Schnellverfahren für die vier aus der Höhle stand nicht etwa Mitgefühl, sondern politisches Kalkül: Ohne Reisepass hätten nicht alle Heldenkids uneingeschränkt als Botschafter Thailands in der Welt herumreisen können.

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