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Welt - 25.11.2018

Mutter Ganges ist eine Kloake

Leichenteile, Tierkadaver und Fäkalien: Warum es so schwer ist, Indiens heiligsten Fluss zu säubern.

Auch für spirituelle Waschungen wird der Ganges von vielen Menschen genutzt.

Der Ganges ist eigentlich eine „sie“. Für die weltweit rund 1,1 Milliarden Angehörigen der Hindu-Religion ist „Mutter Ganga“ der heiligste aller Flüsse, einer von sieben Zöpfen des Gottes Shiva. Statuen von ihm und anderen Gottheiten des farbenreichen Hindu-Pantheons, Neugeborene und Brautpaare werden mit dem Flusswasser besprenkelt. Leichenasche von den zahlreichen Verbrennungsstätten an den Ufern des Flusses werden in seine Fluten gestreut. Die uralte heilige Stadt Varanasi am Ganges auch nur einmal im Leben zu besuchen, gilt als der höchste Segen eines Hindu-Lebens, in dem heiligen Wasser zu planschen, als die beste Reinigung aller Sünden. Der Dichter Heinrich Heine hatte sein 1827 veröffentlichtes Gedicht „Auf Flügeln des Gesanges“ dem indischen Fluss gewidmet. Heute würde er jedoch nicht mehr „vom schönsten Ort am Ganges-Ufer“ schwärmen. Denn der Ganges gilt mittlerweile als einer der sechs dreckigsten Flüssen der Welt.

Am Anfang stehen noch kristallklare Tropfen

Hoch im westlichen Himalaja fängt der mächtige Strom als kristallklare Tropfen eines Gletschers an. Dort ist kaum vorstellbar, welches Schicksal während seines 2700 Kilometer langen Laufs bis zum Golf von Bengalen auf ihn wartet. Ungeklärtes Abwasser von Haushalten, giftige Chemikalien von Feldern und Industrie, Plastikabfall und Bauschutt: alles fließt ungehindert in den Ganges hinein. In Varanasi kommen noch Leichenasche und Tierkadaver dazu. Von den heimischen 140Fischsorten, 90 Amphibien- und fünf aquatischen Säugetierarten sind viele fast ausgestorben. Bis „Mutter Ganga“ in das Meer mündet, ist sie eine stinkende, giftige und lebensgefährliche Kloake.

Deshalb soll Vater Rhein helfen: Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Hannover Messe 2015 hatte Indiens Premierminister Narendra Modi um Hilfe gebeten. Deutschland ist mit 120 Millionen Euro über die Entwicklungsbank KfW und der technische Expertise der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei Indiens Reinigungsmission dabei.

Es reicht nicht, den Fluss einmal zu reinigen

„Die Reinigung des Rheins hat 45 Milliarden Euro gekostet und insgesamt 30Jahre gedauert“, sagt Jasper Wieck, Deutschlands stellvertretender Botschafter in Indien, „man braucht Zeit, Geld und den richtigen Ansatz.“ Der Rhein ist nur halb so lang wie der Ganges. Es leben 600 Millionen Menschen im Gangesbecken, am Rhein ein Zehntel davon. Und das Verhältnis zwischen Mensch und Fluss ist in Indien grundsätzlich anders.

„Rund zwei Millionen Menschen verwenden den Ganges für persönliche Zwecke“, sagt Upendra Prasad Singh, promovierter Ingenieur und Chef von Indiens Gangesreinigungsprogramm. Die Menschen baden sich und ihr Vieh, machen ihre Wäsche, verbrennen Leichen. „Das Flussbecken ist auch die Getreidequelle für ganz Indien“, sagt Singh, „insofern würde ich den Ganges als lebendigen Fluss bezeichnen.“ Außerdem weist Singh, der auch Staatssekretär im Wasserministerium Indiens ist, auf die Größe der Städte am Ganges hin, darunter Kalkutta mit 14 Millionen Einwohnern. Sie alle verursachen entsprechend viel Abwasser. Hinzu kommt die Verseuchung des Flusswassers durch Pestizide der Agrarwirtschaft und Chemikalien aus Lederfabriken. „Wegen dieser ständigen Dynamik muss der Reinigungsprozess kein einmaliger sein, sondern ein anhaltender“, sagt Singh.

In seiner Nähe gibt es 18 Millionen Jauchegruben

Dreiviertel der Verschmutzung besteht aus dem Abfall von den rund 100 Groß- und Kleinstädten und tausenden Dörfern entlang des Ganges. Laut offiziellen Zahlen gibt es in Flussnähe rund 18 Millionen Jauchegruben und zehn Millionen Plumpsklos. Von den zwölf Milliarden Litern Abwasser, die täglich in den Ganges und seine Nebenströme fließen, bleiben 53Prozent unbehandelt.

Zwar bieten die Tempel von Varanasi, der spirituellen Hauptstadt Indiens, westlichen Besuchern just die Exotik, die sie auf ihrer Reise durch Indien suchen. Doch hinter der Romantik steckt eine harte Realität. Ein Drittel der rund vier Millionen Einwohner leben in Slums. Zirka 33000 Leichen werden jährlich am Ufer verbrannt und ihre Asche ins Wasser verstreut. Umsatzgierige Betreiber von Verbrennungsstätten schmeißen auch immer wieder halbverbrannte Leichen oder Tierkadaver heimlich ins Wasser und erhöhen damit den Pegel der Kolibakterien weiter.

Millionengelder verschwanden vermutlich durch Korruption

Modis Reinigungmission, für die rund 2,38 Milliarden Euro vorgesehen sind und zu der die Weltbank, Japan, die Niederlande und eben auch Deutschland zusätzlich beitragen, ist nicht die erste in der Geschichte Indiens. Bereits 1986 hatte die damalige Regierung einen Ganges Aktionsplan angekündigt. Bis 2015 wurden bereits 245 Millionen Euro ausgegeben. Ein Blick auf den heute noch stärker verschmutzen Fluss ist Beweis dafür, dass die Fonds offensichtlich wieder einmal der berüchtigten indischen Korruption zum Opfer gefallen sein müssen.

Auch Modis Gangesreinigungsinitiative steht in der Kritik. 2017 stellte Indiens Sondergericht für Umweltschutz fest, dass trotz der bisherigen Ausgabe von 84,3 Millionen Euro von 163 angekündigten Kläranlagen nur 41 in Betrieb sind. Es sei auch keine Verbesserung der Qualität des Wassers festzustellen, berichten Umweltaktivisten. „Erst wenn alle Projekte in Betrieb sind, wird eine Verbesserung der Wasserqualität bemerkbar sein“, sagt der Chef des Reinigungsprogramms Singh, Die GIZ hat auch eine Informationskampagne entwickelt. Vize- Botschafter Wieck sagt: „Mentalitäten ändern sich nicht über Nacht, aber man muss irgendwann anfangen.“

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