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Welt - 23.12.2018

„Es gab in Indonesien einen Bruch in der Warnkette“

Der Direktor des Potsdamer GeoForschungsZentrums, Jörn Lauterjung, spricht im Interview über das Tsunami-Informationssystem und dessen Schwächen.

Männer betrachten die Schäden in einem vom Tsunami verwüsteten Gebiet in Palu. Ein Erdbeben hatte die Provinz Zentral-Sulawesi am…

Herr Lauterjung, das Erdbeben in Indonesien hat viele Todesopfer gefordert – trotz des deutsch-indonesischen Frühwarnsystems, das Sie bis 2011 mitentwickelt haben. Wie konnte es dazu kommen?

Das Warnsystem hat von der technischen Seite her einwandfrei funktioniert. Fünf Minuten nach dem Erdbeben hat die Frühwarnzentrale in Jakarta eine Meldung herausgegeben, dass in der Stadt Palu ein Tsunami in Höhe von 0,5 bis drei Metern erwartet wird. Diese Meldung ist dann über verschiedene Kommunikationswege an nationale und lokale Behörden sowie an die lokale Verwaltung gegangen. In Indonesien sind die lokalen Behörden auch für lokale Warnungen zuständig. Von da aus sollten sie eigentlich auf verschiedenen Kommunikationswegen an die Bevölkerung weitergegeben werden: mithilfe von Sirenen, Lautsprechern auf Moscheen, mit Lautsprecherwagen der Polizei. Irgendwo in dieser Kette hat es gehakt, da gibt es einen Bruch in der Warnkette. Der hat dazu geführt, dass vielleicht doch mehr Menschen als notwendig am Strand vom Tsunami erwischt wurden.

Zudem wurde die Frühwarnung nach einer ersten Meldung wieder zurückgenommen. Warum?

Laut offiziellen Angaben wurde nach fünf Minuten die Warnung heraus- und an die örtlichen Autoritäten weitergegeben. Die Meldung wurde erst aufgehoben, nachdem der Tsunami schon da war. Insofern hat diese viel zu frühe Aufhebung der Warnung für die Evakuierung, die nach fünf Minuten hätte passieren müssen, keine Auswirkungen gehabt.

„Das Warnsystem war voll funktionsfähig.“

Nach Angaben des Leiters der Behörde für Meteorologie, Klimatologie und Geophysik (BMKG) in Indonesien hat das Warnsystem versagt. Man habe sich auf eine Messboje berufen, die 200 Kilometer weit weg war und nur den Anstieg einer Sechs-Zentimeter-Welle anzeigte. Wieso kommt es zu diesen unterschiedlichen Aussagen?

Ich weiß nicht, warum er diese Angabe macht, weil im Frühwarnsystem keine Daten von Bojen genutzt werden. Anfangs hatten wir im deutsch-indonesischen Frühwarnsystem auch Bojen im Programm. Die sind aber aus messtechnischen Gründen und wegen Vandalismus durch Fischer seit 2010 nicht mehr Bestandteil des Frühwarnsystems, weil sie zu unzuverlässig waren. Es hätte letztlich auch nichts genutzt, weil eine Boje in einer Entfernung von 200 Kilometern viel zu weit weg ist.

Nun sagte der Leiter des BMKG am Wochenende dem Tagesspiegel, dass sich das Warnsystem noch in einer Testphase befinden würde. Haben Sie damals nur ein Testprogramm übergeben?

Nein, wir haben nach der Entwicklungsphase ein voll funktionsfähiges Warnsystem an Indonesien übergeben. Seitdem läuft es im Routinebetrieb und nicht in einer Testphase. Das System wird auch regelmäßig gewartet. Die Behörde hat zur Wartung extra eine Erhöhung der Haushaltsmittel vom indonesischen Staat bekommen und auch wir helfen durch Consulting an vielen Stellen bei der Wartung und Weiterentwicklung weiter mit.

Inwiefern haben Sie denn neben der technischen Schulung damals auch den weiteren Prozess der Warnung – also den Ablauf der Informationsweitergabe an die Bevölkerung – beachtet?

Wir haben auch auf diese Soft Skills geachtet. Wir haben die Informationsweitergabe damals in drei Pilotregionen geübt und dabei die Schulung und Materialien entwickelt, die wir dann an BNPB (Badan Nasional Penanggulangan Bencana, nationaler Katastrophenschutz Indonesiens) übergeben haben. Wir haben vertraglich festgehalten, dass diese Organisation die Schulungen in anderen Regionen weiterführt. Die Küste von Indonesien ist aber 16 000 Kilometer lang, in den Küstenregionen leben um die 150 Millionen Menschen und die sind eventuell nicht alle erreicht worden.

Wurden diese Schulungen denn tatsächlich weitergeführt, sodass die Bevölkerung vorbereitet gewesen wäre?

Das ist die Frage. Angeblich haben die Indonesier sie weitergeführt, aber offenbar scheint es an der einen oder anderen Stelle zu hapern. Die Bevölkerung war anscheinend überhaupt nicht auf dem Wissensstand, auf dem sie sein könnte. Die Menschen hätten nämlich auch ohne Warnmeldung auf natürliche Warnzeichen achten können, sie haben das Erdbeben ja gespürt. Dass in der Stadt Häuser zusammengebrochen sind, ist auch die Folge des Erdbebens und nicht des Tsunamis. Auf das Erdbeben haben aber scheinbar viele nicht reagiert und sind am Strand geblieben, statt ins Landesinnere zu gehen. Dabei haben wir immer versucht zu vermitteln, dass die Leute auch auf natürliche Warnzeichen achten und nicht nur auf die Warnmeldungen vom System. Denn wenn sie auf ein stärkeres Erdbeben reagieren, sind sie fünf Minuten schneller.

„Es hätte anders laufen können.“

Das Problem ist also vielschichtig. Nicht nur in Indonesien, sondern auch in vielen anderen Ländern haben Sie immer wieder das Problem: Da können Sie Spitzentechnik hinstellen, aber wenn das am anderen Ende, also an der Übermittlung der Warnung und der Reaktion der Bevölkerung darauf, hapert, können Sie nichts machen. Da passiert nichts. Dann kommt leider ein Ergebnis heraus, wie wir es jetzt haben. Ich ärgere mich wirklich sehr darüber, obwohl ich natürlich tief betroffen bin. Es hätte anders laufen können.

Es scheint ja Missverständnisse zwischen Ihnen und den Institutionen dort zu geben. Haben Sie schon Kontakt zu den Verantwortlichen in Indonesien aufgenommen?

Nein, weil die im Moment andere Probleme haben, als solche Fragen zu beantworten. Aus Jakarta haben wir allerdings schon den ersten Bericht bekommen. Wir haben ein paar Nachfragen, die wir hoffentlich morgen klären können.

Wie muss diese Katastrophe nun aufgearbeitet werden?

Wir müssen versuchen, die Kommunikation und Ausbildung auf der lokalen Ebene zu verbessern, denn dort liegen die Hauptschwierigkeiten in der Warnkette. Wir tun von Potsdam aus, was wir können, um dort Verbesserungen anzubringen. Die fruchten aber nicht von heute auf morgen. Gerade die Arbeit mit der lokalen Bevölkerung ist eine Generationenaufgabe: Sie müssen Leute überzeugen, Sie müssen Vertrauen gewinnen. Da hilft es jetzt nicht, wenn die Streitereien in der indonesischen Presse losgehen. Wir müssen gemeinsam mit den indonesischen Behörden daran arbeiten, den Wissensstand der Bevölkerung und die Reaktion auf Warnmeldungen zu verbessern.

Trotz der unterschiedlichen Aussagen von Ihnen und den Verantwortlichen des BMKG dort: Wie wird die zukünftige Zusammenarbeit aussehen?

Wir werden mit vielen Mitarbeitern, die schon 2005 bis 2011 dabei waren, versuchen, Einfluss zu nehmen. Für Ende Oktober hatten wir schon vor dem Tsunami einen Workshop in Jakarta vereinbart, um die Situation vor Ort zu besprechen und die nächsten ein bis zwei Jahre zu planen. Mehr können wir momentan nicht machen, weil wir keine Mittel haben und darauf angewiesen sind, dass die Arbeiten vor Ort von den indonesischen Institutionen umgesetzt werden.

Das Gespräch führte Laurenz Schreiner.

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