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Politik - 23.03.2019

Immer häufiger werden Ärzte und Rettungskräfte bedroht

Notaufnahme, ärztlicher Bereitschaftsdienst oder Hausarzt – wie soll man sich in diesem Dschungel zurechtfinden? Wir sprachen mit Jörg Brokmann, Leiter der Notaufnahme an der Uniklinkik Aachen

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MAINZ – Notaufnahme, ärztlicher Bereitschaftsdienst oder Hausarzt – wie soll man sich als Patient in diesem Dschungel noch zurechtfinden? Wir sprachen darüber mit Jörg Brokmann. Er ist Leiter der Notaufnahme an der Uniklinkik Aachen und Präsident des Kongresses der Notfallmediziner (Dink). Dieser hat in Koblenz mit rund 1400 Teilnehmer n getagt.

Herr Dr. Brokmann, der Bundesgesundheitsminister will 600 von insgesamt 1800 Notaufnahmen schließen. Finanzielle Förderung soll künftig daran gekoppelt werden, ob die Krankenhäuser auch eine entsprechende medizinische Versorgung anbieten können. Ist das der richtige Weg?

Der Beschluss ist richtungsweisend, denn wir brauchen eine Neuordnung in der Notfallversorgung. Der Patient blickt durch diesen Dschungel doch gar nicht mehr durch. Niemand weiß, wann er zum Hausarzt gehen sollte, wann zum kassenärztlichen Bereitschaftsdienst oder in die Notaufnahme. Keiner weiß, wo er anrufen muss und wer wann aufhat. Deshalb gehen alle in die 24-Stunden-Notaufnahme. Diese 600 Krankenhäuser haben in den vergangenen fünf Jahren weniger als fünf Prozent der Notfälle versorgt. Sie können weiter an der Notfallversorgung teilnehmen, bekommen aber kein extra Salär dafür. Die Bundesländer können davon im Einzelfall auch abweichen, damit ländliche Gebiete nicht abgehängt werden.

Die Notaufnahmen der Krankenhäuser klagen über die Vielzahl an Patienten, die gar kein Notfall sind. An der Uni-Klinik Mainz geht man jetzt den Weg einer vorgeschalteten Praxis, in der weniger schwere Fälle aussortiert werden. Ist dies der richtige Weg?

Das ist der richtige Weg, denn meiner Meinung nach brauchen die Patienten nur eine Anlaufstelle. In einem solchen Zentrum wird der Patient, wenn es eine leichte Erkrankung ist, von einem Kassenarzt behandelt. Ist es ein schwerer Fall, wird er direkt im Krankenhaus versorgt. Kassenärzte und Krankenhäuser müssen künftig besser zusammenarbeiten. Um das flächendeckend umzusetzen, brauchen wir eine Strukturreform. Bisher haben alle immer nur auf die Kosten geschaut. Künftig muss vor allem nach dem Bedürfnis des Patienten gegangen werden. Das gilt auch für die Fahrten in den Rettungswagen. So dürfen die Rettungsdienste bislang nicht überall Patienten zu niedergelassenen Ärzten bringen, weil sie dann kein Transportgeld bekommen. Das müssen wir ändern.

Gewalt gegen Rettungskräfte – wie ist die Situation?

Die Übergriffe und Beleidigungen haben in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. Notärzte werden am Einsatzort beschimpft, Rettungskräfte an Silvester mit Böllern beworfen oder sogar mit Raketen beschossen. In der Notaufnahme wird das Personal bepöbelt. Mir und meiner Familie wurde letztens der Tod gewünscht. Die Einsatzkräfte haben mittlerweile Notfallknöpfe an ihren Meldern, falls ein Mitarbeiter bei einem Einsatz angegriffen wird. In Berlin wurden Rettungskräfte beschimpft, während sie ein Kind reanimiert haben – der Rettungswagen stand einem Autofahrer im Weg. Das entbehrt jeder Menschlichkeit. Das gab es vor zehn Jahren in dieser Massivität nicht.

Die Notfallmediziner werben für Herz-Lungen-Wiederbelebung als Unterrichtsfach. Warum brauchen wir das?

Das muss sein, bundesweit. Auch hier hinken wir hinter anderen europäischen Ländern her. Die Ersthelferquote in Deutschland geht zwar langsam nach oben, aber wir kommen von 20 Prozent. In Holland und Skandinavien ist sie bei 40 bis 60 Prozent. Deshalb müssen wir an die Schulen, am besten schon an die Grundschulen, dort kann man schon mit Erster Hilfe als Schulfach beginnen. Natürlich hat ein Grundschuljunge oder ein Grundschulmädchen nicht die physische Kraft, einen Menschen wiederzubeleben. Aber es geht darum, wen rufe ich an, wie verhalte ich mich? In Regionen, wo wir Reanimationsunterricht in der siebten Klasse anbieten, ist die Ersthelferquote deutlich angestiegen.

Was kann Digitalisierung aus Sicht des Patienten in Zukunft in der Notfallmedizin bringen?

Nehmen Sie die Telenotfallmedizin. Sie haben einen Notfall auf der Straße, die Rettungskräfte nehmen ihre Ausrüstung mit, messen Blutdruck und Herztöne. Diese Daten können direkt und live an einen Mediziner, der weiter weg ist, übertragen werden. Der kann den Kollegen vor Ort Anweisungen geben, Medikamente zu verabreichen. Das läuft bereits gut, es gibt zwei, drei Regionen wo dies als Regelleistung eingesetzt wird. Es muss aber noch flächendeckend umgesetzt werden. Länder wie Holland oder England sind uns da weit voraus. Die Widerstände sind noch hoch, etwas verändern zu wollen.

Das Interview führte Markus Lachmann.

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