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Politik - 27.06.2019

Geständnis im Mordfall Lübcke: Zweifel an Einzeltäter-These

Hat Stephan E. wirklich allein gehandelt? Oder hielt er immer noch Kontakt zu alten Freunden aus der Neonazi-Szene? Für die Ermittler steht fest: Sie stehen in ihrer Aufklärungsarbeit erst am Anfang.

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Berlin (dpa) – Stephan E. hat gestanden. Zehn Tage nach seiner Festnahme hat der dringend tatverdächtige 45-Jährige den Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke zugegeben.

«Das heißt, die Ermittler, die Fahnder haben den richtigen Mann. Und darüber müssen wir alle froh sein», sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Um dann aber gleich hinterherzuschieben: «Und jetzt werden sicherlich damit die Ermittlungen nicht zu Ende sein.»

Keinen Monat, nachdem der Kasseler Regierungspräsident Lübcke auf seiner Terrasse erschossen wurde, scheint die Frage nach dem Täter mit großer Sicherheit beantwortet. Doch nicht nur Seibert bleibt vorsichtig.

«Er hat angegeben, die Tat, den Mord an Herrn Lübcke, alleine vorbereitet und alleine durchgeführt zu haben», sagt Generalbundesanwalt Peter Frank über Stephan E. «Trotz dieser Aussage des Beschuldigten, als Einzeltäter gehandelt zu haben, wird Gegenstand unserer Ermittlungen sein, ob es Unterstützer, Helfer, Mitwisser, Mittäter gegeben haben könnte.» Daher seien die Ermittlungen auch weiterhin darauf gerichtet, ob «dieser Tat, diesem Mord, eine terroristische Vereinigung zugrunde liegt oder ob der Beschuldigte Mitglied einer rechtsterroristischen Vereinigung ist». Martina Renner (Linke) hält die Aussage von Stephan E., er habe das Attentat allein vorbereitet und durchgeführt, für eine «Schutzbehauptung».

Im rechtsextremistischen Bereich schätzen die Sicherheitsbehörden momentan 39 Menschen als «Gefährder» ein. Das sind Menschen, denen sie einen Terroranschlag oder eine ähnlich gravierende politisch motivierte Straftat zutrauen. Bei den Islamisten waren es zuletzt rund 750 «Gefährder». Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic sieht eine «eklatante Analyseschwäche» im Bereich Rechtsextremismus – auch wenn es nach dem Führungswechsel von Hans-Georg Maaßen hin zum neuen Verfassungsschutz-Präsidenten Thomas Haldenwang ihrer Ansicht nach einen «Mentalitätswechsel» an der Spitze der Behörde gegeben hat.

Auch wer wie Stephan E. schon ausländerfeindliche Straftaten verübt hat und mehrfach vorbestraft ist, kann, wenn er sich über mehrere Jahre unauffällig verhält, wieder vom Radar der Behörden verschwinden.

Deshalb gab es zunächst auch keinen Treffer, als der Verfassungsschutz nach der Inhaftierung des Tatverdächtigen in seinem elektronischen Informationssystem nachschaute, ob Stephan E. als Rechtsextremist bekannt ist. Denn es gibt Löschungsfristen, die verhindern sollen, dass einem inzwischen geläuterten Bürger die radikale Vergangenheit auf ewig als Klotz am Bein hängt.

Dass der Inlandsgeheimdienst später dann doch noch Akteneinträge zu dem heute 45-Jährigen aus Hessen fand, hat mit der Mordserie des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zu tun. 2011 flogen die Rechtsterroristen auf, die zehn Menschen töteten und viele weitere verletzten.

Nachdem herausgekommen war, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz relevante Akten geschreddert worden waren, wurde 2012 ein Moratorium beschlossen. Die Informationen aus dem Bereich Rechtsextremismus werden seither nicht mehr vernichtet. Stattdessen kommen sie nach einer Frist, die zwischen fünf und zehn Jahren liegen kann, in eine gesperrte «Quarantäne-Datei». Aufgerufen werden dürfen sie dann nur für parlamentarische Untersuchungen, Datenschutzfragen oder im Zuge der internen Revision.

Innenpolitiker fragen sich allerdings, ob es womöglich noch einen viel direkteren Zusammenhang zur NSU-Terrorserie gibt. Lübckes Name stand auf einer «Todesliste» des NSU. «Wir können es nicht beweisen, aber der Verdacht liegt sehr nahe, dass der NSU bei seinen Taten Unterstützung aus der jeweiligen lokalen Neonazi-Szene gehabt haben muss. Zur Neonazi-Szene in Kassel, wo einer der NSU-Morde verübt wurde, gehörte jahrelang auch Stephan E.», sagt der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Auch zu gewaltbereiten Rechtsextremisten in Dortmund, wo das NSU-Opfer Mehmet Kubasik starb, hielt er früher Kontakt. Am 1. Mai 2009 nahm Stephan E. an einem Neonazi-Angriff auf Teilnehmer einer DGB-Kundgebung teil.

Nun wird über mögliche Verbindungen des NSU nach Hessen gerätselt. Aufschluss könnten geheime Akten aus dem dortigen NSU-Untersuchungsausschuss liefern – falls die Landesregierung sie vorzeitig offenlegt.

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