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Kultur - 06.04.2019

Merkel entfernt umstrittene Nolde-Bilder

War Emil Nolde ein Nazi-Künstler? Sollten seine Bilder im Kanzleramt hängen? Die Debatte ist nicht neu. Trotzdem verbannt Kanzlerin Angela Merkel jetzt zwei Bilder Noldes aus ihrem Amtszimmer. Warum erst jetzt?

Eines der Bilder trägt den Titel „Brecher“. Darauf stürzt eine riesige Welle, weißen Schaum versprühend, auf dunkle Fluten. Eine tiefhängende blutrote Wolke verstärkt die Dramatik. Seine Ausläufer waren jetzt wohl auch im Kanzleramt zu spüren, wo Noldes Gemälde jahrelang hing, als eine Leihgabe der Staatlichen Museen Berlin. Bis jetzt.

Zwei Berliner Museumsausstellungen könnten der Auslöser für die Rückgabe sein. Zunächst eröffnet der Hamburger Bahnhof in Berlin an diesem Wochenende die Schau „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“. Kurz darauf präsentiert das Berliner Brücke-Museum die Ausstellung „Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus“. Beide Häuser gehören zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In beiden wollen die Ausstellungsmacher mit dem Mythos des in der NS-Zeit verfemten Künstlers aufräumen.

Emil Nolde

Dass Nolde zugleich ein glühender Nazi war, hätte man im Kanzleramt schon wissen können. Spätestens die spektakuläre Nolde-Ausstellung im Frankfurter Städel vor fünf Jahren rückte die Erkenntnis ins öffentliche Bewusstsein. Noldes Schriften, seine Autobiografie und zahlreiche Briefe, die der Künstler an Nazi-Größen schrieb, belegen das. Dazu gehören antisemitische Kommentare, insbesondere gegen jüdische Künstler wie Max Liebermann und Galeristen wie Bruno Cassirer.

Hoffnung auf „nordische Staatskunst“

Noch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs kämpfte Nolde um Anerkennung – bei den Nazis. Mehr noch: Er hoffte lange, die Nazis würden den Expressionismus zur „nordischen Staatskunst“ erheben – mit ihm als dem herausragenden Vertreter. Immerhin hatte Nolde doch – im Gegensatz zu Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Erich Heckel, Hannah Höch und Otto Dix –  einen Bogen um gesellschaftskritische Themen gemacht. Stattdessen war er der deutschen Scholle und christlichen Motiven treu geblieben.

Die Berliner Ausstellungen zeigen nunmehr den aktuellen Forschungsstand in Sachen Nolde. Danach war Nolde eben nicht der von den Nazis verführte, dann aber unangepasste Geist. Als solcher hatte er sich in seiner nach dem Krieg geschönten Autobiographie darzustellen versucht. Gleichwohl wurden von keinem anderen Maler so viele Arbeiten beschlagnahmt und 1937 prominent in der Münchener Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ zur Schau gestellt.

Versteigerung eines Nolde-Gemäldes

Mythos vom verfolgten Künstler

Den Mythos des verfolgten und mit Malverbot gegängelten Künstlers pflegte jedoch nicht nur Nolde selbst. Auch die Kunstkritik und sogar die Literatur zeichnete dieses populäre  Bild – etwa der Roman „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz thematisierte indirekt Noldes Geschichte.

In akribischer Recherche haben die Kunsthistorikerin Aya Soika und der in Cambridge lehrende Historiker Bernhard Fulda nun die Nolde-Forschung auf den neuesten Stand gebracht. Ihr wissenschaftliches Fazit: Nolde war ein Judenhasser. Auch bekannte er sich zu Führer, Volk und Vaterland. Initiiert und unterstützt hat das Forschungsprojekt die Nolde-Stiftung in Seebüll. Nach seinem Amtsantritt 2013 hatte ihr neuer Direktor Christian Ring die lange gehüteten Archive geöffnet. Heute sieht sich die Stiftung, wie sie auf ihrer Website schreibt, „in der Verpflichtung, in der Vergangenheit entstandene Fehleinschätzungen um die Person Emil Noldes als Phänomen deutscher Nachkriegsverdrängung aufzuklären“.

Christian Ring, Direktor der Nolde-Stiftung in Seebüll

Diskussion um Kunstfreiheit

Die neuerliche Aufregung um Nolde kann Christian Ring „nicht wirklich nachvollziehen, vieles sei ja längst bekannt. Auf der einen Seite ist er ein großartiger Künstler, der mit seiner Kunst ganz entscheidend die Entwicklung der deutschen Kunstgeschichte geprägt hat und der bis heute für viele Künstler als Vorbild gilt, der die Farbe zum eigentlichen Medium erkoren hat. Auf der anderen Seite ist da ein Mensch, der in seiner Zeit gefangen war, wie viele andere Millionen Deutsche auch.“

Noldes Beliebtheit tut das bisher keinen Abbruch. Seine leuchtenden Marsch- und Meerlandschaften sind nach wie vor Publikumslieblinge, ebenso die biblischen Szenen oder auch Noldes immer wiederkehrende farbenfrohe Blumenaquarelle. Die Nachfrage nach Nolde-Werken ist ungebrochen, die Preise am Kunstmarkt stabil. Ein Zurück in die Berliner Regierungszentrale wird es für die Nolde-Bilder erstmal nicht geben. Die Regierungssprecherin teilte mit, die Kanzlerin nehme gerne das Angebot der Stiftung an, künftig zwei Bilder des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) in ihrem Arbeitszimmer aufhängen zu können. Dabei handele es sich um die Werke „Haus unter Bäumen“ (1910) und „Häuser am Kanal“ (1912).

Eine Diskussion über Nolde und darüber hinaus hält Stiftungsdirektor Christian Ring umso mehr für unerlässlich: „Wie gehen wir mit Musik um, die in der Zeit entstanden ist, wie mit Bauwerken aus der Zeit des Nationalsozialismus? Hinterfragen wir bei zeitgenössischen Künstlern die demokratischen Grundsätze?“, fragt der Kunsthistoriker. „Ich glaube, wir müssen uns bewusst machen, dass die Kunst ein sehr hohes Freiheitsgut ist.“ Darüber zu diskutieren, biete Nolde jetzt den Anlass. 

 

 

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