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Kultur - 07.01.2019

Kommentar: Der ewige Provokateur Michel Houellebecq

Jedes Buch des französischen Autors sorgt für Aufsehen, so auch sein neuer Roman „Serotonin“. Der Literatur verhilft er damit zu Ansehen. Zunehmend gerät er aber in Gefahr zum Politclown zu werden, meint Jochen Kürten.

Ja, das gibt es tatsächlich noch: Ein Buch erscheint, zumal ein Roman, und alle Welt freut sich darauf. Oder regt sich auf oder ist zumindest bass erstaunt. In Zeiten des digitalen Wandels ist das keine Selbstverständlichkeit. Jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse oder auch zu anderen Anlässen wird darüber geklagt, dass die Menschen nicht mehr lesen oder zumindest viel weniger – und die Jugend sowieso nicht.

Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq hat seit einigen Jahren den Rang eines literarischen Schwergewichts inne. Kaum ein anderer Autor sorgt mit seinen Veröffentlichungen für soviel Aufsehen, für Auflagenhöhen und Medieninteresse. Auch amerikanische Bestseller-Autoren können da kaum mithalten – und das will etwas heißen in einer Welt, in der englischsprachige Bücher und deren Übersetzungen dominieren.

Michel Houellebecq ist präsent – in den Buchläden und den Medien

Jeder neuer Roman des Franzosen löst ein mittleres Erdbeben in den Feuilleton-Redaktionen aus und manchmal schafft es Houellebecq auch in die Politik-Berichterstattung – man denke nur an den Roman „Unterwerfung“, der just am Tag des Anschlags auf „Charlie Hebdo“ erschien. In den Boulevardmedien ist der Franzose sowieso präsent, das hat mit seinem Auftreten zu tun, das oft skurril und meistens provozierend ist.

Kein anderer Autor löst einen solchen Aufruhr mit einem Prosatext aus. In Deutschland sind die Zeiten, in denen ein Günter Grass die Nation bewegte, lange vorbei. Aktuelle Bestsellerautoren wie Daniel Kehlmann sind dagegen nur etwas fürs gehobene Feuilleton.

Literatur als gesellschaftlicher Kitt

Wir konstatieren also: Literatur, gedruckt und verpackt zwischen zwei Buchdeckel, kann immer noch so manches bewegen. Romane wie das neue Buch von Houellebecq, „Serotonin“, werden gelesen und diskutiert, öffentliche Auftritte von Autoren dieses Ranges geraten zu großen Medienspektakeln. Auch in digitalen Zeiten. Das ist eine gute Nachricht.

DW-Kulturredakteur Jochen Kürten

Was aber sagt das über Michel Houellebecq und seine Romankunst aus? Da muss man differenzieren. Aber was ist auch anderes möglich bei diesem Autor? Ausnahmsweise soll in diesem Kommentar der Autor einmal selbst zu Wort kommen. Auf Seite 279 seines neuen Romans schreibt Houellebecq (durch den Mund seines Ich-Erzählers): „Tatsächlich beginnt mein Verhalten an diesem Punkt, sich mir zu entziehen, fällt es mir schwer, ihm einen Sinn zuzuschreiben, und es beginnt deutlich von einer allgemeinen Moral und im Übrigen auch von einer allgemeinen Vernunft abzuweichen, an der ich bis dahin teilzuhaben glaubte.“

Das ist der Reiz, aber auch das Problem bei diesem Autor: Seine Figuren (und damit natürlich auch dessen Verfasser) stehen für Provokation, für das In-Frage-Stellen sämtlicher Aussagen, für sich widersprechende Thesen. Ein Verhalten ohne Sinn und Vernunft – möglicherweise ist das auch nur ein literarisches Spiel.

Das Risiko der Dauer-Ironisierung

Literatur muss nicht klar und deutlich sein, sie kann und soll widersprüchlich sein und zum Denken anregen. Das tut Houellebecq natürlich. Deswegen ist jeder Roman von ihm auch ein großer Lesespaß.

Aber indem der Franzose provoziert um der Provokation willen, indem er ständig ein ironisches Spiel mit seinem Image und seiner Widersprüchlichkeit betreibt, verliert er mit der Zeit auch seine Glaubwürdigkeit. Nicht als Literat. Schon aber als ernstzunehmender intellektueller Zeitgenosse. Den amerikanischen Präsidenten Donald Trump bezeichnete Houellebecq vor kurzem als „einen der besten Präsidenten“, die er „jemals gesehen habe“.

War das ernst gemeint? Man weiß es bei Houellebecq nicht. Donald Trump nehmen viele schon lange nicht mehr ernst. Bei Michel Houellebecq könnte das auch einmal der Fall sein.

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