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Kultur - 16.03.2019

Documenta 15: Hohe Erwartungen an ruangrupa

Drei Jahre bleibt ruangrupa, die documenta 15 vorzubereiten. Nicht ein Kurator, sondern das Künstlerkollektiv aus Indonesien soll die Weltkunstschau 2022 leiten. Was das für Kassel und die Kunst heißt – ein Ausblick.

„Ruan-Wer?“ Die Verwunderung war groß, als die Findungskommission der documenta Ende Februar ihre Entscheidung bekanntgab. Ruangrupa, die Künstlergruppe aus Jakarta, hatte die sonst global vernetzte Kunstwelt partout nicht auf dem Schirm. Dafür lächelten die beiden ruangrupa-Vertreter, Radi Rakun und Ade Darmawan, gut gelaunt in die Kameras. Die Überraschung war gelungen!

Drei Wochen nach Verkündung der Sensation sind der studierte Architekt Rakun und ruangrupa-Direktor Darmawan, ein Kunstgrafiker, wieder in ihre Heimat abgereist. Hinterlassen haben sie viele Fragezeichen. Neugierde hatte besonders „koperasi“ geweckt, ein Schlüsselbegriff ihres documenta-Konzepts, das auf Austausch, Vernetzung und Dialog setzt – das jedoch „nicht nur in einem klassischen Ausstellungskontext“, wie es hieß. Stattdessen planen die Indonesier, auch mit der Kasseler Künstlerszene, mit Schulen, Krankenhäusern und Universitäten zusammenzuarbeiten.

Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann

Was „koperasi“ konkret bedeuten könnte, erläuterte Sabine Schormann, die documenta-Generaldirektorin. Es komme ruangrupa darauf an, Beispiele für Kunst zu finden, „die in der Realität tatsächlich etwas bewirkt“. Solche Koperasi-Projekte könne es überall auf der Welt geben, so Schormann, doch würden die Ergebnisse dann „in irgendeiner Form“ in Kassel präsentiert. Alles weitere blieb offen, eher unbestimmt. „Wir wissen sehr vieles noch gar nicht“, gab auch Rakun zu, „aber wir werden lange hier arbeiten.“

Gespaltenes Echo

Kein Wunder, dass die neue documenta-Leitung ein gespaltenes Echo ausgelöst hat. Während sich die einen auf frischen, nicht-europäischen Wind für Kassel freuen, hält manch einer die Berufung von ruangrupa bestenfalls für einen Witz. Kolja Reichert etwa gab sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) „sehr überrascht“ über die Wahl des Kollektivs, das „keiner kennt und das die documenta und deren Geschichte kaum kennt“. Selbst die soziale Ausrichtung des Kollektivs sei so revolutionär nicht. Catrin Lorch von der „Süddeutschen Zeitung“ hielt den Schritt hingegen für „mutig“. Swantje Karich von der „Welt“ freute sich über einen wohltuend „humanistischen Ton“ der Künstlergruppe. In der „Neuen Zürcher Zeitung“ wertete Christian Saehrendt die Wahl des indonesischen Kollektivs als „riskant, aber zu begrüßen“. Er fragte: „Wird ruangrupa in Kassel eine starke Kunstausstellung zeigen, oder verliert sich die nächste documenta in einer Vielzahl von soziokulturellen Projekten zwischen Java und Nordhessen?“

„KAOS“ von ruangrupa (Istanbul Biennale, 2005)

Überraschungsbesuch in Jakarta

Verständlich, dass das Feuilleton der FAZ der Versuchung nicht widerstehen konnte, einen Reporter nach Jakarta-Süd zu schicken und den ruangrupa-Leuten auf den Zahn zu fühlen. Schaffen die das? Der FAZ-Bericht trieft vor Zweifeln. Das Fazit bleibt ungeschrieben: Die documenta ist zu groß für ruangrupa.

Auch Stefan Kraus, Direktor des erzbischöflichen Kunstmuseums Kolumba in Köln, begegnet ruangrupa mit gewissen Vorbehalten: „Ich halte es für eine unglaubliche Aufgabe, die dieser Künstlergruppe bevorsteht“, sagt Kraus. Schon dass man eine Gruppe beauftragt habe und nicht einen Kurator, hält er für „bemerkenswert“. Erst kürzlich ist Kraus mit dem Berliner Friedlieb-Ferdinand-Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung ausgezeichnet worden.

„Wir sind seit 18 Jahren als Kollektiv zusammen“, teilt die Künstlergruppe auf Anfrage aus Jakarta mit. „Jeder Einzelne bei ruangrupa kommt aus anderen Hintergründen und Disziplinen. So haben wir im künstlerischen Prozess unterschiedliche Perspektiven“. Auch Stefan Kraus ist es gewohnt, im Kollektiv zu kuratieren, wie er sagt. „Das schützt vor eindimensionalem Denken.“ Gemeinsam könne man Kriterien finden und Qualität definieren.

Der kuratierte Frühstückstisch

Kolumba-Direktor Stefan Kraus

Aufgabe eines Kurators sei es, der Kunst einen optimalen Auftritt zu verschaffen. „Es ist eben nicht so, dass man sich als Kurator etwas Nettes ausdenkt und dann die Kunst sucht, die das Ganze bebildert.“ Der gute Kurator müsse neben der Kunst fast unsichtbar sein. Gleichwohl, sagt der Kunsthistoriker, „muss letztendlich einer den Kopf dafür hinhalten, dass die Sache vermittelbar wird“. Wenn man jetzt in Kassel Künstler gewählt habe, um über Künstler etwas zu machen, dann sei das spannend. Der Begriff des Kuratierens, so Kraus, sei ohnehin überstrapaziert: „Wenn Sie morgens vor dem Spiegel stehen und entscheiden, welches Hemd Sie anziehen, ist das eine kuratorische Entscheidung. Jeder Frühstückstisch ist kuratiert.“

Drei Jahre verbleiben dem im Kern zehnköpfigen Kollektiv nun, bevor sich der Vorhang zur documenta 15 hebt. Die Erwartungen sind hoch. Fast eine Million Besucher lockte die Weltkunstschau zuletzt nach Kassel. Wenn die nordhessische Provinzmetropole alle fünf Jahre zum Nabel der zeitgenössischen Kunst mutiert, ist sie mindestens so wichtig wie die Kunstbiennale von Venedig – und die Teilnahme ein Ritterschlag für jeden Künstler. Für Künstler wie Kuratoren gilt indes, was Karl Valentin einst augenzwinkernd sagte: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“

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