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Kultur - 02.03.2019

Der Meisterschneider von Venedig

Der Karneval in Venedig ist berühmt für seine Kostümkunst. Doch die meistprämierten Kostüme werden nicht etwa in Mailand, Rom oder Paris entworfen, sondern im deutschen Städtchen Enger – von Hobby-Schneider Horst Raack.

Horst Raack aus der ostwestfälischen Kleinstadt Enger arbeitet eigentlich als Goldschmied. Seine Leidenschaft für Kostüme entdeckte er, als er vor 15 Jahren mit seinem Ehemann Jochen Schlüter erstmals den Karneval in Venedig besuchte. Seitdem verbringt er jede freie Minute damit, Kostüme zu entwerfen und anzufertigen. Die Techniken hat er sich im Laufe der Jahre selbst beigebracht. Er hat den offiziellen Kostümwettbewerb beim Karneval in Venedig bereits fünf Mal gewonnen. Öfter hat das noch niemand geschafft. Für Horst Raack und Jochen Schlüter teilt sich das Jahr auf in eine Zeit vor dem Karneval und nach dem Karneval. Oft muss Horst Raack die letzten Nächte vor dem Karneval durcharbeiten, um alles pünktlich fertigzustellen. Über seine Leidenschaft für Kostüme und seine Liebe zum venezianischen Karneval spricht er im DW-Interview.

Deutsche Welle: Was erhoffen Sie sich vom diesjährigen Karneval in Venedig?

Horst Raack: Wenn mein Mann Jochen Schlüter und ich zum Karneval nach Venedig fahren, dann wollen wir auch gewinnen. Der offizielle Kostümwettbewerb „Concorso della Maschera più bella“ ist schon so etwas wie der Höhepunkt für uns. Aber die Konkurrenz dort ist riesig, alle zeigen immer ganz wundervolle Kostüme. Und wie man dort abschneidet, hängt immer von so vielen Faktoren ab. In den ersten Runden stimmt das Publikum ab, im Finale entscheidet immer eine hochkarätig besetzte Fachjury. Da ist immer alles möglich.

Was ist für Sie der schönste Moment beim Karneval von Venedig?

Davon gibt es zwei. Der wichtigste Moment ist eigentlich gleich nach der Ankunft, wenn ich die Koffer im Hotel öffne und sich dann zeigt, ob die Kostüme den Transport heil überstanden haben. Es sind zum Teil sehr voluminöse Entwürfe, die ich immer irgendwie in Koffern und Transportkisten verpacken muss und nur hoffen kann, dass beim Flug nichts kaputt geht. Aber der schönste Moment ist dann, wenn wir uns zum ersten Mal in den Kostümen der Öffentlichkeit präsentieren. Ganz privat bewegen wir uns kostümiert durch die engen Gassen und über die Piazzas der Stadt. Und wenn ich dann die Begeisterung in den Augen der Passanten sehe, wie sie stehen bleiben, uns bewundern und um ein Foto bitten, das ist für mich eigentlich der schönste Moment.

Kostümdesigner Horst Raack zum Karneval in Venedig

Was macht für Sie die Faszination des venezianischen Karnevals aus?

Es liegt immer ein ganz eigener Zauber in der Stadt. Eigentlich zu jeder Zeit, aber zum Karneval ganz besonders. Und im Vergleich zum Kölner Karneval oder dem Karneval von Rio geht es in Venedig vor allem um die Kostümkunst. Das gefällt mir ganz besonders. Die Leidenschaft der Menschen für ihre Kostüme ist hier förmlich zu greifen. Und hier kann ich meine Leidenschaft präsentieren. Das finde ich toll.

Sie arbeiten oft jahrelang an Ihren Kreationen. Sie machen alle Kostüme vom Entwurf bis zur Ausführung selber. Woher nehmen Sie die Motivation?

Das Kreative liegt mir im Blut. In meiner eigentlichen Arbeit als Goldschmied arbeite ich zwar auch kreativ, aber in erste Linie nach den Wünschen anderer. Hier kann ich mich richtig austoben. Irgendwo muss das Kreative ja hin. Und das fließt dann in die Kostüme. Weil ich aber nicht immer alle Ideen in einem einzigen Kostüm unterbringen kann, finden die oft ihren Ausdruck im Kopfschmuck. Die Hüte sind so etwas wie meine Spezialität. Die sprießen nur so vor Ideen und Detailreichtum. Das ist natürlich wahnsinnig aufwändig. Oft arbeite ich in meiner gesamten Freizeit an den Kostümen. Also für Venedig muss man schon ein bisschen ein Rad ab haben. Aber da ist man in Venedig unter sich. Da gibt es genug Bekloppte, die das genau so machen. Man versteht sich auch gleich immer sehr gut mit den anderen Teilnehmern, weil man die gleiche Leidenschaft teilt. So haben wir  auch schon sehr gute und treue Freunde gefunden.

Horst Raack und Jochen Schlüter in ihrem Atelier in Enger

Wo haben Sie das Kostümschneidern gelernt?

Ich habe mir alles selber beigebracht. Ich hatte immer schon ein Faible dafür. Und nachdem wir vor rund 15 Jahren das erste Mal den Karneval in Venedig erlebt haben, dachte ich mir, das will ich auch machen. Und es fing dann ganz klein an. Und jedes Mal kam etwas mehr dazu, eine neue Idee, eine neue Technik. Ich habe mir dann sogar mal historische Schnittmuster besorgt und alles mögliche ausprobiert. 2009 haben wir dann erstmals beim offiziellen Kostümwettbewerb teilgenommen und prompt gewonnen. Insgesamt fünf Mal haben wir mittlerweile den ersten Platz erreicht. Bei meinen Kostümen verwende ich immer sehr unterschiedliche Materialien. Mal sind es sehr hochwertige und teure Stoffe, oft aber auch ganz billige, einfache Ware. Oder auch Alltagsmaterialien aus dem Baumarkt. Für den Kopfschmuck meines aktuellen Kostüms habe ich beispielsweise Tischsets aus Plastik zerschnitten und sie so drapiert, dass sie wie eine Frisur im Marie-Antoinette-Stil aussehen und diese aus Glas zu sein scheint.

Das Gespräch führte Hendrik Welling.

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